Lautstarker Stolz: wir tanzen den Metall-Tango mit Doro

6.12.2017 Backstage München
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Dorothee Pesch aus Düsseldorf gehört zweifelsohne zu den deutschen, ach was sag ich weltweiten Metal-Institutionen, die es auch weit über die Kenner-Kreise hinaus zu Bekanntschaft gebracht haben. Mit einem feinen History-Set beehrt uns die blondmähnige Dame dieser Tage unter dem Motto „Loud And Proud“, was wir uns natürlich nicht entgehen lassen können. Auf geht’s also – alle wir sind!

In der legendären "Live aus dem Alabama"-Sendung über Heavy Metal gab es nicht nur eine vollkommen sinnentleerte Diskussionsrunde, in der einige wahrhafte Koniferen anwesend waren ("woasd scho, a dreckige Gitarren, an dreckigen Bass, woasd scho" - so beschrieb ein Diskutant, warum der Metal so spannend sei), sondern auch diverse Auftritte damals angesagter Kombos aus deutschen Landen. Neben den Münchner Lokalmatadoren Railway („Lick it, Stick it“, das waren halt noch ambitionierte Texte!) und den damals noch unter Cacumen firmierenden späteren Bonfire gab es ein Konzert mit Grave Digger, bei dem nach Aussage von Chris Boltendahl aber auch so gar nichts funktionierte – und von Warlock, die gerade ihre zweite Scheibe „Hellbound“ herausgefeuert hatten. Auch wenn wir am Fernsehschirm leider nur die ersten paar Songs verfolgen konnten (bei „Burning The Witches“ drehte man uns dann ab), reichte uns das schon für einen nachhaltigen Eindruck: Spandexhosen, fesches Riffing und vor allem eine langmähnige Sängerin, die sich sehr publikumsnah gab (auch wenn sie die Hände einiger allzu eifriger Zuschauer abwehren musste). Was heute dank der female fronted-Welle fast schon inflationär ist, war damals sensationell: Doro Pesch lieferte als eine der ersten Damen eine gestandene Metal-Performance und avancierte spätestens mit „Triumph And Agony“ 1987 zur Metal Queen, auch wenn die stark amerikanisierte, von der Plattenfirma dominierte Gangart letztendlich zur Auflösung der Band führte. Unter eigenem Namen machte die Holde allerdings weiter, spielt seitdem unermüdlich auf allen Bühnen der Welt und hat sich zwischenzeitlich in teilweise arg verschmuste Balladen verstrickt – aber nachdem in diesem Jahr das Erfolgsalbum immerhin 30 Jahre alt wird, besinnt man sich im Hause Pesch auf die alten Stärken und rückt mit einem Set an, das mit Klassikern nur so gespickt ist.

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Das mobilisiert denn auch durchaus Herrschaften, die üblicherweise wohl keine konzertanten Ansetzungen mehr aufsuchen – „wir haben‘s geschafft, wir sind endlich mal die Jüngsten!“, konstatiert Alterspyramidenanalyst Sebbes beim Blick durchs Rund, das sich anfangs erst zurückhaltend füllt. Das verdrießt die nun hervortretenden Recken allerdings keineswegs: vor einem mächtigen Backdrop mit Namenszug steigen die Würzburger von NulldB mit „Tyrannei“ in ihr Set ein. Optisch hätte man hier eher eine Prise Punk’n’Roll vermutet, die mit den ersten beiden Nummern auch kredenzt wird – auch bei „Öffne Deine Augen“ herrscht schweres Riffing, wobei die Melodie nicht fehlen darf. Quasi eine Art Tote Hosen mit mehr Wumms, der allerdings im weiteren Verlauf harmonischen, teilweise fast AOR-lastigen Elementen weicht: „Im Auge des Sturms“ und „Babel“ kommen sehr ordentlich, aber auch durchaus gefällig daher. Ein neues Album haben sie am Start, „Geboren in Ketten“ (nicht geboren in Kempten, nein), von dem es nun den Titeltrack zu hören gibt. Mit dem dann wieder etwas ruppigeren „Endzeit“ und „Kinder des Zorns“ (inklusive „All we are“-Einlage) geht es schon über die Ziellinie. Nach durchaus ausführlichen 50 Minuten ist dann Schluss - dem einen war das Ganze zu poppig, dem anderen vermochte es zu gefallen – demnächst kommen die Jungs in den kleinen Club gegenüber, wofür es an Ort und Stelle schon günstige Tickets zu haben gab.

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Das Rund füllt sich nun zusehends, auch Schlachtenbummler aus unseren gutbürgerlichen Tagestätigkeiten gesellen sich zu uns, während auf der Bühne Licht gemacht wird und ein Schlagzeug mit Tarnnetzen und Totenköpfen zum Vorschein kommt. Gleich zwei Keyboards sind außerdem am Start, aber verwöhnt von Epica bemängeln wir: die können sich weder drehen noch herumfahren. Ziemlich genau um 21 Uhr winkt die Dame dann schon einmal hinter der Bühne hervor, bevor ihre Mannschaft mit „Raise Your Fist In The Air“ von der gleichnamigen 2012er-EP gleich ordentlich einsteigt. Die Metallkönigin selber fegt auch alsbald hervor und legt eine derart agile Sohle aufs Parkett, dass sich manch eine jüngere Vertreterin davon etwas abschauen könnte. Mit permanentem Mähnenschütteln, der charakteristischen Hinwendung zum Publikum und vor allem durch ausgeprägte Volksnähe sammelt Frau Pesch gleich Sympathiepunkte – offenbar lohnt es konditionsseitig eben doch, mit der professionellen Backpfeifen-Verteilerin Regina Halmich befreundet zu sein, auch wenn es im Promiboxen seinerzeit gegen Michaela Schaffrath (jaja, die wilde Gina, meine Herren) nicht ganz reichte. Das Publikum einstweilen nimmt das wohlwollend zur Kenntnis, aber brodelnde Stimmung schaut irgendwie anders aus. Naja, kann ja noch werden, jetzt setzt es mit dem herausragenden „I Rule The Ruins“ gleich den ersten Warlock-Klassiker, der wunderbar reinläuft. Frau Pesch agiert mit massivem Schuhwerk (nachdem die Dame ja von eher zierlicher Größe ist, bestens verständlich) und Motörhead-Shirt und Gürtel – man huldigt eben gerne den Legenden. In der Mitte des Fotograbens hat man ein kleines Podest aufgebaut, auf dem sich die liebe Doro dem Publikum bis zur Tuchfühlung nähern kann: wie seinerzeit eben im Alabama. „Ich begrüße Euch von ganzem Herzen Leute!“, ruft sie uns jetzt zu, wir Dich auch, vor allem, wenn eine so ruppige Abfahrt wie „Burning The Witches“ folgt. Die ersten Warlock-Ausritte sind eben immer noch die besten, voller ungestümer Energie und im besten Sinne des Wortes traditionellem Geist.

Da gibt es doch sogar ein bisschen Headbanging in der Menge. Vorsicht, nichts ausrenken, ja? Aus dem Publikum überreicht man ihr nun ein Kissen in Herzform, für das sie sich allerliebst bedankt – und wir fühlen uns plötzlich nicht mehr ans Alabama, sondern an die Hitparade im ZDF erinnert, in der jeder „Interpret“ nicht unter fünf Teddybären nach Hause ging. Weiter im Text mit „Fight For Rock“, wozu sie uns informiert, dass man das zugehörige „True As Steel“-Album (seinerzeit nach dem überragenden „Hellbound“ doch eine kleine Enttäuschung) hier in München aufgenommen habe. Live geht die Nummer bestens, zumal Frau Pesch stimmlich durchaus auf der Höhe ist (und immer war, das muss man ihr absolut zugestehen – Playback gab‘s hier noch nie). Weg von der Historienkiste geht es jetzt mit „Night Of The Warlock“ (vom 2009er-Album „Fear No Evil“), was von der Qualität her etwas abflacht, aber dafür von einem spaßigen Gesellen in Catweezle-Kostüm nebst Stecken in bester Komödienstadl-Manier inszeniert wird. Nichts wie zurück zu den frühen Tagen, für alle Helden, die nicht mehr unter uns sind – Lemmy, Dio, Pete Steele, Malcolm Young (der kurz mit seinem Bruder verwechselt wird, aber sei’s drum) – gibt es nun die ansehnliche Ballade „Without You“ vom Erstlingsalbum, bei der sich die Saitenbieger Bas Maas (vormals in Diensten bei After Forever) und Luca Princiotta bestens in Szene setzen können. Das erste Lied, das man seinerzeit für „Triumph And Agony“ geschrieben habe, das komme jetzt an die Reihe, erzählt sie uns nun: „East Meets West“ zündet auch nach 30 Jahren wunderbar, wenn sich das Publikum auch nach wie vor vornehm zurückhält. Ungerührt sammelt Doro weiter Geschenke ein, darunter ein Modell-Mikrofon aus Gold (wir fragen hier nicht näher nach) und stimmt ein „kleines deutsches Lied“ namens „Seelied“ an – ihre Ausflüge in die deutschsprachige Balladenwelt lassen wir mal so stehen. Wem’s gefällt, dem sei es gegönnt, wir erfreuen uns lieber an dem nun folgenden „Metal Racer“, einer tight gebrachten Speednummer, mit der das Debut gleich wieder zu Ehren kommt. Irgendwie liegt der Fokus heute Abend durchaus auf der ersten Platte, was natürlich lobenswert ist, aber „Hellbound“ muss natürlich auch noch an die Reihe kommen. Oder? Bestimmt, aber erst kredenzt sie uns die Ballade, mit der seinerzeit diese ganze Richtung ihren Anfang nahm: „Für immer“ klingt auch heute wieder wie „Für Emma“, kann aber den Ruhm beanspruchen, sehr früh balladesk und Deutsch gewesen zu sein. Ein wenig Schlagzeugbegleitung hilft über die ansonsten vielleicht etwas langatmigen Teile hinweg, die textlichen Ambitionen muss jeder selbst bewerten („das ist so wahr wie 1987“, meint zumindest Doro) – die Menge singt brav mit, das kennt man ja, und das gefällt auch noch der Frau, die in die Oil of Olaz-Zielgruppe fällt.

So, jetzt kommen wir endlich mal in den Genuss eines „Hellbound“-Streichs: den „Earthshaker Rock“ spielt sie ja immer gerne, auch heute prescht die Nummer gut vor – bis sie dann rüde unterbrochen wird und einem anachronistischen Rückwurf in die 80er Platz macht, der auf den Namen Schlagzeugsolo hört. „Das macht man doch nicht mehr!“, konstatiert Stilkritiker Sebbo, und Recht hat er: Schlagwerker Johnny Dee macht das bestimmt ordentlich, aber die ewigen bum bum bum Hey!-Spiele haben uns damals schon angeödet. Am Bühnenrand macht Herr Maas einsteilen Yoga mit einem Handtuch, während Herr Dee wie im Kasperltheater nun „We will rock you“ und dann noch „I love it loud“ anspielt. Irgendwann hat sichs auch damit, Doro erzählt, man komme alle zwei Jahre her, ihre ganze Band sei schon Jahrzehnte um sie, und man bedankt sich kräftig und wiederholt bei allen, die von nun an gerne als „Liebe Freunde, liebe Rockfans“ bezeichnet werden – wie das an gleicher Stelle auch schon Heino mit uns tat. Die Wacken- (oder Stahlnägel?)Hymne „We Are The Metalheads“ rauscht relativ eindruckslos vorbei, danach kündigt sie einen neuen Song an, den es mit „Love Gone To Hell“ dann auch gibt. Irgendwie hat das vermaledeite Drumsolo die Luft ein wenig rausgelassen, das Publikum kochte ja vorher schon nicht gerade über, aber jetzt ist das eher ein entspanntes Zusehen. 1987 sei man auf Tour mit Judas Priest gewesen, und als Hommage hat die Dame zusammen mit „uns Udo“ Dirkschneider (der mit bürgerlichen Namen bekanntlich Dirk Schneider heißt) ja vor einiger Zeit schon den Priest-Scheunenstürmer „Breaking The Law“ aufgenommen, den es nun, inklusive balladeskem Anfang, jetzt zu bestaunen gibt. Ob man das wirklich braucht, lassen wir dahingestellt, immerhin stimmt sie nun ihren größten Klassiker an, der dann doch bis in die letzten Reihen mitgesungen wird: tatsächlich schaffte es „All we are“ damals sogar bis in die Bayern 3-Mittagsshow von Thomas Gottschalk, und auch wenn uns der Text bis heute Rätsel aufgibt (alle wir sind alle wir sind wir sind wir sind alle alle die wir brauchen – wat?), nehmen wir das freudig zur Kenntnis: sogar ein Mini-Moshpit entsteht. Mäßigen Sie sich, Herrschaften! Ein wenig Verwirrung gibt es jetzt ob der Zugaben-Taktik – Frau Pesch verschwindet kurz, die Instrumalfraktion macht eine kleine Einlage, worauf es dann mit „Unholy Love“ zügig weitergeht. Nun spricht sie nochmals mit „München und allen Zugereisten“, wir dürfen uns etwas wünschen, wobei sie sich nicht für das auch zugerufene „Kiss Of Death“, sondern für den selten gehörten „Metal Tango“ entscheidet – das ist dann doch eine kleine Überraschung und wird sehr ordentlich serviert. Aber, meine Freunde, wo bleibt denn nun der „Hellbound“-Block? Was ist mit „All Night“, „Wrathchild“ und dem Titeltrack? Pustekuchen, stattdessen hören wir eine Version des unsäglichen David Bowie-Berlin-Heulers „Heroes“ – schon im Original gruselig, was das hier soll, bleibt im Dunkeln. Wie auch die Bühne, denn nun ist endgültig Schicht im Düsseldorfer Schacht. Unterm Strich ein ordentlicher Auftritt, mit vielen old school-Songs, einer beachtlich energiegeladenen Fronterin, unnötigen Soloeinlagen und einem eher unbeteiligten Publikum. Nun ja, nächstes Mal machen wir das besser, und zwar alle, die wir sind.