Die Movement-Familie in der Hitparade: wir staunen mit Future Palace, Our Promise und Seven Blood
/13.12.2024 Backstage München
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Eben noch im Vorprogramm, jetzt auf der Showbühne: Future Palace haben den Sprung in die große Arena-Welt geschafft und machten auf ihrer Headliner-Tour auch in unserer Lieblingslocation halt. Und ein guter alter Bekannter war auch dabei - mitsamt seinen Verwandten!
„Also, wenn der Movement heute nicht dabei ist, dann weiß ich auch nicht mehr!“, so orakelt Choreograph Sebbo im Vorfeld – und Dauerleser unserer Postille wissen: das ist der launige Kollege, der uns erstmals bei Death Angel besuchte. Als deren Fronter nämlich forderte „I want to see some movement now!” und flugs darauf eine Riesenwelle durch die Menge brandete, konstatierte Sebb treffend: „Das war also der Movement!“ Auf den munteren Gesellen warten wir also heute auch und sind gespannt.
Durchaus verblüfft im positiven Sinne sind wir schon beim Hineinwandern, als wir feststellen, dass das ja nicht unbedingt kleine Backstage Werk heute Abend ratzefatze ausverkauft ist – die Schlachtenbummler stapeln sich bis in die letzten Winkel. Die Laufbahn von Future Palace darf man beruhigt als bemerkenswert bezeichnen: so lange ist es doch eigentlich gar nicht her, dass wir die drei Herrschaften aus Berlin als Support von Battle Beast erleben durften, als die Finnen auf ihrer Circus of Doom-Tour in der Garderobe der Neuen Theaterfabrik gastierte: im August 2022 war das, also quasi vor ein bisschen mehr als zwei Jahren. Da traten uns die drei Berliner noch eher zurückhaltend entgegen, wir notierten damals sehr gute Ideen und Konzepte, aber dass man die Uhr nur 24 Monate später drehen muss und eine ausverkaufte Headliner-Tournee bestreiten kann, das dürfte die Herrschaften wohl selbst etwas überrascht haben.
Sei’s drum, wir freuen uns in jedem Falle und stellen zunächst einmal fest, dass wir es wieder einmal mit einem Dreierpack zu tun haben: auf der Bühne sind schon die Recken von Seven Blood am Werkeln und machen schon mal gehörig Wind. Der erst letztes Jahr gegründete Vierer um Frontsirene Azaria Nasiri kredenzt durchaus machtvoll seine eigene Mischung Modern Rock mit Zutaten von My Chemical Romance und Bring Me the Horizon, die durchaus zu gefallen weiß: Material wie die Debutsingle „Killing From The Inside“ (mit thematisch durchaus komplexem Geläuf) stimmt die Menge sehr passend auf die kommenden Hochlichter ein. Wir sind angetan und notieren gerne, dass sich einiges tut im Bereich der Neukommer.
In diese Kategorie fallen wohl auch nun die nun einschwebenden Our Promise: die Bühne ist urplötzlich dicht bevölkert von einer kompletten Kombo nebst gleich zwei Shoutern – und dann geht auf einmal eine Art Wirbelsturm los. Mit einer unglaublichen Energie werfen sich die Jungs aus Stuttgart in ihr Set, das auf feurigste Art und Weise Metalcore, Hardcore und Pop Punk zu einer dahinpreschenden Energieladung verschmilzt. Die beiden Mikroschwinger Rafa und Vik brillieren durch gekonnten Wechsel zwischen brachialen Growls und sehr ordentlichem Clean-Gesang – und hebeln nebenbei, wie die gesamte Kombo, sämtliche Styleguides aus: weiße Tennissocken, Kofferanhänger als Ohrring, hier geht alles. Im permanenten Wechsel zwischen Beats, Breakdowns und Melodie kocht die Stimmung sofort über, es setzt massive Circle Pits, Walls of Death – und da erspähen wir ihn, er ist da, er hat heute Zeit für uns: „da ist er, der Movement!“, ruft Sebbo aus. Wobei ich das korrigieren muss: das ist nicht nur der Movement, der hat heute seinen Bruder dabei. Ach was, die ganze Sippe ist im Hause – Familie Movement zu Besuch. Wunderbar! Zu Nummern wie „Decode“ oder „Lost without you“ tobt die Waschmaschine komplett haltlos, die Durchreiche ist eröffnet: ein Flieger nach dem anderen segelt nach vorne, was sich auch einer der Shouter nicht nehmen lässt und selbst – natürlich weiter brüllend – über die Menge tragen lässt. Ganz großes Kino! Das konstatieren auch die Recken selbst, die nach 25 Minuten schon das Feld räumen – in der Corona-Zeit habe man die ersten Gehversuche unternommen (Neukommer, Kapitel 2 für heute) und nicht träumen können, dass die Chose so durch die Decke geht. Ist sie, meine Herren, und mit was? Mit Recht! Da passt es fast schon irgendwie, dass quasi als Abspann das wundersame „Never gonna give you up“ von Richard Astloch aus den Boxen strömt. Hossa, was ein unerwarteter, aber massiv knorkanter Abriss!
Wir schnaufen kurz durch und blicken ins Rund: die Schlachtenbummler sind nicht recht zuzuordnen, definitiv keine klassische Metal-Meute, die üblichen Bekannten in der ersten Reihe weilen heute nicht unter uns, diverse Schildkappen wogen umher, allenthalben eine fröhlich-zerrupfte Schar. Wir stellen wieder einmal fest, dass im Backstage die Uhren anders gehen (die große Ticktack an der Saaldecke zeigt irgendwas kurz vor Mitternacht an), als dann um 21.30 das Intro einsetzt (und verwirrend viele das sagen wir mal bunt gewählte „Durch den Monsun“ der zwei damaligen Kaulitz-Kinder, heute hauptberuflich Trash-TV-Darsteller, lauthals mitsingen) und dann die Hauptattraktion die Bühne entert. Da ist nun wieder deutlich mehr Platz, im Gegensatz zum wahrlichen Getümmel vorhin: immerhin bestehen Future Palace weiterhin „nur“ aus Maria Lessing am Mikro, dem Guitarrenheld Manuel Kohlert und Drum-Rauschebart Johannes Früchtenicht – elektrische Einsprengsel, Bass und Tasten kommen live vom Band, aber das geht völlig ok: denn mit „Malphas“ vom aktuellen Langdreher „Distortion“ steigen die Herrschaften sehr ordentlich ins Set ein. Man ist tight, geradeaus und mächtig: kein Vergleich mehr zu unserem ersten Zusammentreffen. Nicht zuletzt Frau Lessing hat in der Berufsschule die Fronter-Klasse erfolgreich absolviert: die Dame tänzelt, räkelt, turnt über die Bühne und legt sich zwischendurch auch mal auf die Podeste. „Die ist nicht mehr schüchtern!“, stellt Verhaltensforscher Sebbo treffend fest, was wir vehement bejahen. Auch beinkleidtechnich ist man aufgerückt – die Glitzerschlaghose scheint aus dem 70er-Hitparaden-Bata-Ilic-Fanshop entliehen und macht einen schlanken Fuß. Weiter im Text geht es mit dem ebenso drückenden „Fool on a devil’s Reins“ und „Uncontrolled“, zu dem endgültig auch Familie Movement wieder den Weg in die Halle findet (fröhlicher Schleudergang allenthalben) und nach dem Frau Lessing uns erst einmal beeindruckt begrüßt – wie schön es doch sei, dass so viele den Weg hierher gefunden haben, die Future-Familie werde immer größer. Sehr richtig und mehr als verdient! Nach „Panic Paralysis“ und dem eher getragenen „Amethyst“ - beides wunderbare Beispiele für den Post-Core-Melodic-Alternative-Irgendwierock -, nutzt Frau Lessing die Gelegenheit, ein wenig über die Inhalte zu sprechen.
Denn, so wissen wir ja, bei Future Palace geht es keineswegs um Partyallsetime, ganz im Gegenteil werden ernsthafte Themen verhandelt, vornehmlich die Auswirkungen mentaler Erkrankungen, von denen die Sängerin selbst nicht verschont ist, aber die finsteren Gedanken künstlerisch verarbeitet – unter anderem in ganz bewusst tanzbaren Nummern wie dem nun folgenden „Decarabia“, bei dem alle Melancholie niedergehüpft wird (und das auch als Motiv auf den durchaus populären Leibchen zu finden ist, aus welchem Fundus sich auch Modezar Sebbes wieder versorgt). Nach dem treibenden „Fever“ vom etwas eingängigeren „Run“-Album setzt es dann zu „In too Deep“ wieder eine amtliche Surfer-Welle, in der wir dann gegen Ende des Abends dann sogar Mitstreiter von Our Promise erkennen – das ist mal Einsatz einer Vorband! Weiter im Programm sausen wir mit „Echoes of Disparity“ und „Flames“, dann wird es bedächtig: „Lately“ erstrahlt in einer akustischen Fassung ebenso bedächtig wie vielschichtig. Guiterrero-Hocker natürlich obligatorisch. Neu ins Set hat es das von Kenner Sebb lauthals geforderte „Dreamstate“ geschafft, dann biegen wir mit „Dead Inside“ langsam auf die Zielgerade ein. Nach einer kurzen Ansprache von Saitenbieger Manuel (bedankt sich ebenso artig, drei Leute aus Berlin leben hier ihren Traum – in der Form erledigen wir das natürlich gerne, scheint durchaus erfolgreicher zu gelingen als bei gewissen Herrschaften aus der Politik) öffnet sich dann bei „Heads Up“ ein beachtlicher Circle Pit – Familie Movement auf Dienstreise! Jetzt kündigt Frau Lessing den letzten Song an, es gibt auch keine Zugabe, dafür aber mit „Paradise“ den Quasi-Themensong der Band, bei dem sich alles um Hoffnung dreht. Da machen wir doch nochmal fröhlich mit und konstatieren: keine Spur von Zurückhaltung, nein, die große Geste beherrschen sie mittlerweile. Und wir waren von Anfang an dabei. Es gilt wieder das Motto von Ado mit der Goldkante: es lohnt sich!