Die fabelhafte Welt der Ambre-lie: wir suchen das Keyboard mit Xandria und Sirenia
/26.11.2024 Backstage München
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Neue EP am Start, Symphonic-Veteranen als Spezialgäste mit an Bord: da sagen wir doch nicht nein, wenn uns Xandria wieder beehren.
Upgrade nennt man das wohl: eigentlich war der symphonische Ausflug ja im lauschigen Club angesetzt, wo wir die symphonischen Recken bei der letzten Ansetzung erleben konnten. Da platzte das nette Wohnzimmer aber schon aus allen Nähten, insofern überrascht es uns kaum, dass man heute flugs in die Halle gegenüber ausweicht, die doch Raum für diverse Schlachtenbummler mehr bietet. Das mag daran liegen, dass Xandria die Festivalbühnen der Welt beackert haben und neben der nach wie vor aktuellen Relaunch-Scheibe „The Wonders Still Awaiting“ brandheiß eine EP namens „Universal Tales“ präsentieren. Oder schlicht daran, dass die Reinkarnation der Kombo und Marco Heubaum zweifelsohne die beste Version ist, die die Herrschaften mit Dame jeweils hatten.
Als wir kurz vor 8 hineinwandern, stellen wir fest, dass es doch eine dritte Formation aufs Paket geschafft hat: der Dreier Genus Ordinis Dei aus Bella Italia klopft ordentlich auf den Teppich. Fronter Niccolo Cadregari grunzt, was das Zeug hält, sogar bei einer Hommage an die selbst ernannten früheren Kings Of Metal Manowar, die heute eher als Comedy-Truppe agieren: „Hail and Kill“ im deathigen Grunzgewand, das ist doch mal was. So richtig passend ist das zur Symphonic-Flagge heute allerdings nicht, daher nehmen wir das mal zur Kenntnis und beruhigen den mit angereisten Gastredakteur, dass das heute nicht in gleicher Manier weitergeht. Bestimmt nicht.
Wir liegen damit auf der sicheren Seite, denn nun stehen wahre Veteranen des symphonischen Genres auf dem Programm: mit „Addiction No. 1“ steigen um Schlag 20:30 Sirenia in ihr Set ein, die Norweger um Bandgründer Morten Veland zeigen sich zwar gewohnt kompetent, aber irgendwie mit angezogener Handbremse. „Die haben heute Nacht nicht gut geschlafen!“, konstatiert Hobby-Morpheus Sebbes – mag sein, aber man bringt den Co-Headliner-Slot doch ordentlich über die sprichwörtliche Bühne. Fast schon atemlos geht es ohne viele Ansagen durchs Programm, „Dim Days of Dolor“, „Into the Night“ (schöner Stampfer) und „Deadlight“ (vom neuen Album mit dem vielsagenden Titel „1977“) heißen die weiteren Nummern, die dem Mitgereisten endgültig die Sorge nehmen, hier und heute gäbe es keine Melodien zu bestaunen. Fronterin Emmanuelle Zoldan (ihres Zeichens sowohl aus Frankreich als auch Mezzopsoran) agiert im tighten Beinkleid, schwingt sich treffsicher durch alle Höhen und sichert sogar noch zu, heute Abend seien doch wieder solche „beautiful people“ am Start. Nach denen halten wir zwar emsig Ausschau, aber das trifft auch für zwei musikalische Akteure: deutlich zu vernehmen sind Bass und Keyboard, alleine auf der Bühne entdeckt man diese nicht. Sei es aufgrund Urlaub oder Fachkräftemangel, wir agieren hier auf den Brettern mit zwei Gitarren und Schlagzeug, aber der Sound passt dennoch in jedem Falle. Sehr eingängig und gefällig, liefern Sirenia mit „Lost in Life“, „A Thousand Scars“ und „This Curse Of Mine“ weiteres symphonic Futter, das die Menge durchaus goutiert, bevor dann das von Pop-Titan Sebbes angekündigte und erwartete Cover auf dem Programm steht: „the next song is in French“, kündigt Frau Zoldan an, das kann sie als Landsfrauin ja bestens, und so kredenzt man uns eine Fassung des 80er-Pop-Gänseblümchens „Voyage Voyage“, seinerzeit so wenig mitreißend wie der Retorten-Band-Name (na? wer wars? Genau, „Desireless“, genauso klingt das auch), heute durchaus schmissig im Gitarrengewand. Wir schwingen weiter, gewissermaßen atemlos durch die 70 Minuten, die den Co-Headliner-Slot durchaus honorieren, bevor sich Herr Veland und seine Freunde verabschieden. Wir wünschen gute Ruhe.
In der Vergangenheit gab es in der Umbaupause ja des öfteren schon IHK-Prüfungen, zuletzt im Ventilator-Ausrichten – heute stellt man offenbar die Künste im Lego-Schlagzeug-Aufbau unter Beweis. Die Schießbude nimmt beachtenswerte Formen an, damit harren wir bis Punkt 22:00 aus, bis ein kurzes Intro die Hauptattraktion ankündigt und Xandria zu „You Will Never Be Our God“ auf uns losstürmen. Die Formation zeigt sich unverändert ansteckend spielfreudig, tight und vor allem, so stellt Sebbo fest, ausgeschlafen. Marco Heubaum agiert als Zeremonienmeister mit Rauschebart sicher wie gewohnt, seine Mitstreiter legen sich allesamt ins Zeug, aber natürlich sind wir auf die Frontelfe gespannt. Die gute Ambre Vourvahis springt nun ebenfalls ins Geschehen und stellt gleich einige Dinge unter Beweis: heute wird sie nicht von Erkältungen geplagt, ihr Beinkleid sitzt wie angegossen – und in Sachen Stageacting schlagen sich die zahlreichen Auftritte auch in großem Rahmen sichtlich nieder. Vorbei die Anfangstage, als das Ganze noch etwas vorsichtig wirkte: „die wird noch zur richtigen Rampensau!“, ruft Choreograph Sebbo zustimmen aus, und wir pflichten bei: die Dame tänzelt, lächelt, schwingt das Haupthaar und feuert auch die gleich erforderlichen Growls vollkommen überzeugend in die Menge. Die geht von Sekunde 1 freudig mit, das Comeback-Titelstück „Reborn“ wird geradezu abgefeiert, und wir sind mittlerweile vollends überzeugt: auch wenn Elize Ryd von Amaranthe garderobentechnisch nach wie vor die Bürgermeisterin von Senkelhausen ist, dann ist die gute Ambre mittlerweile definitiv im Stadtrat gelandet. Die Streikwelle scheint auch in Bielefeld angelangt: der Bass wird zwar livehaftig von Tim Schwarz gezupft, aber der Keyboarder zeichnet sich auch hier durch Abwesenheit aus – wobei im Studio der Job natürlich von Multitalent Marco himself übernommen wird.
Das tut der Sause keinerlei Abbruch, wir staunen über die Energie, die von der Bühne strömt, mit „Universal“ gibt es den ersten Beitrag der aktuellen EP, der von einer durchaus beeindruckenden Lasershow multimedial untermalt wird. Nach dem ebenfalls neuen „No Time To Live Forever“ feuern sie mit „Two Worlds“ den laut Marco wichtigsten Track der Relaunch-Scheibe ab – immerhin warten die Wunder immer noch auf uns, so ist das nun mal in den fabelhaften zwei Welten der Ambre. Jetzt fordert die Dame uns auch noch zum Mitmachen auf: „This next one you will have to dance!“ Machen wir, immerhin bringt das folkig angehauchte „200 Years“ lauschige Highland-Vibes – immerhin dreht sich hier alles um die Schottland-Zeitreise-Saga „Outlander“ (Kundige suchen bei diesen Klängen sofort den Weg nach Doune Castle). Das getragene „Your Stories I’ll Remember“ gefällt wunderbar, bevor dann mit „Nightfall“ die vorige Schaffensphase aufgerufen wird – mächtig, episch, mitreißend und weniger exaltiert vorgetragen als von der Vorgängerin Diane van Giersbergen. Nach dem ausladenden „A Prophecy of Worlds To Fall“ kündigt Ambre a „jumpy one” an, und tatsächlich agiert die gesamte Kombo zu „My Curse is My Redemption“ wie beim Kita-Hüpf-Nachmittag – einfach ansteckend, zumal Frau Vourvahis ständig die Klamotte zurechtzubbeln muss, um eine „wardrobe malfunction“ zu vermeiden. Mit dem all time greatest hit „Ravenheart“ biegen wir nun leider schon auf die Zielgerade ein, die dann mit dem Stampfer „Valentine“ endgültig absolviert wird. Schön, episch, melodisch – so loben wir uns das! Gerne würden wir zwar auch wieder einmal Stücke aus der ersten Bandphase zu Gehör bekommen („Now and Forever“, „Sisters of the Night“, da gäbe es so einiges), aber zugegebenermaßen sind die aktuellen Kompositionen von anderem Schrot und Korn. Wir grüßen freundlich und verabschieden uns bis zum nächsten Zusammentreffen.