Cardiotraining mit dem Singh: Wir schwitzen mit Bloodywood
/12.03.2025 Backstage München
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"The Return of the Singh" prangt auf Tourplakaten und T-Shirts der wohl aktuell bekanntesten indischen Band in unserer geschätzten Metal-Nische. Das Wort "Singh" stammt aus dem Sanskrit und bedeutet "Löwe" – ein passender Name für Bloodywood, auch wenn die Wahl des Maskottchens auf Shirt und Plakat, ein Motorrad fahrender Elefant, Fragen aufwirft. Aber gut, wir vertrauen darauf, dass sich Bloodywood mit ihrer eigenen Kultur besser auskennen als wir, und stürzen uns ins Getümmel!
Pünktlich zum ersten Song der ersten Vorband, Demonic Resurrection, stehe ich bereit – Kamera im Anschlag, Notizblock gezückt, während Zeiträtsel-Spezialist und Redenschreiber Holgi heute mysteriöserweise pausiert. Und dann rollt die Death-Metal-Dampfwalze los... wow! Die ebenfalls aus Indien eingeflogene Truppe macht keine Gefangenen. Frontmann Sahil "The Demonstealer" Makhija, dessen graue Haarbüschel ihn wie eine Kreuzung aus Tom Araya und Max Cavalera wirken lassen, growlt sich mit unbändiger Energie durch das Set. Musikalisch liegt die Band irgendwo zwischen den seligen Death und Obituary, garniert mit symphonischen Keyboard-Elementen à la Dimmu Borgir oder Behemoth. Ein würdiger Opener, der das Backstage Werk schon mal ordentlich vorheizt. Mr. Demonstealer selbst scheint ebenfalls zufrieden und beendet das Set mit einem grinsenden "You made an old man very happy!"
Danach wird es wild: Die zweite Vorband, Calva Louise, betritt die Bühne – und mit den ersten Tönen von "W.T.F." fragt man sich genau das: Was zur Hölle passiert hier? Elektro, Metal, poppige Melodien und diabolisch kreischender Gesang – ein irrer Mix! Das Trio besteht aus Jess (Venezuela, Gesang/Gitarre/Keyboard), Ben (Neuseeland, Drums) und Alizon (Frankreich, Bass/Synths). Jess, die optisch irgendwo zwischen Engel und Höllenfurie pendelt, muss multitasken und Gesang, Gitarre und Keyboard gleichzeitig bedienen. Was aber zugegebenermaßen auch wunderbar klappt. Musikalisch klingt die Kapelle nach einer wilden Kreuzung aus Spiritbox, Babymetal und Muse. Besonders beeindruckend ist der Kontrast zwischen dem zarten, süßlichen Klargesang und dem ungezähmten Geschrei der böse dreinblickenden Dame aus Venezuela. Zum Höhepunkt des Sets wird Tourmanager Nick zu seinem Geburtstag in einem Einkaufswagen mit rosa Papierhütchen über die Bühne kutschiert, bevor "Opportunista" nochmal heißblütiges südamerikanisches Flair verbreitet. Ein durchaus denkwürdiger Auftritt!
Nun aber zum sehnsüchtig erwarteten Headliner des Abends: Bloodywood! Und die fackeln nicht lange. Mit den ersten Trommelschlägen von "Dana Dan" kommt ordentlich Bewegung ins Münchner Publikum. Der wilde Mix aus Sepultura zur "Roots"-Zeit, orientalischen Instrumenten und einer geschickt verpackten Prise Hip-Hop funktioniert einfach genial. Mit der Ansage "Now we brought a song about our home" geht das wilde Treiben mit "Nu Delhi" weiter, während das Publikum sich zum Warmwerden im 800-Meter-Lauf in einem kleinen Kreis vor der Bühne übt.
Wenn wir schon mal hier sind, können wir auch eine kleine Stilkritik einflechten: Die in bunte, wallende Gewänder gehüllte Truppe setzt auch Trends in Sachen Mode und macht den klassischen Badeschlappen wieder salonfähig während Sarthak Pahwa, der das Dol (die große indische Trommel, die man vor dem Bauch trägt) bedient, gleich komplett auf Schuhwerk verzichtet. Daher wurde wohl vor der Show auch so emsig auf der Bühne gefegt.
Da ständig fünf Mann gleichzeitig über die Bühne “fegen”, weiß man gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll. Ein guter Anhaltspunkt für die Augen sind die beiden Sänger: Da wäre Muskelpaket Raoul Kerr, der mit seinem durchdringenden, bösartig klingenden Rap-Gesang und dem obligatorischen "No Flags"-Shirt die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Gegenüber wirbelt der rot bemantelte Jayant Bhadula über die Bühne, der oft schreit und growlt, aber zwischendurch mit melodiösen indischen Gesangslinien brilliert, die Bloodywood das gewisse Extra verleihen. Hauptsongwriter und Gitarrist Karan Katiyar mimt, wenn er nicht gerade Flöte spielt, den klassischen Metal-Gitarristen mit sorgfältig gezupftem Bart und komplett schwarzen Klamotten.
Während Bloodywood in dem zum Herumspringen animierenden Song "Tadka" die indische Küche thematisieren, entledigen sich meine Nachbarn ihrer T-Shirts und schwitzen gekonnt andere Konzertbesucher ein – was für ein Kontrast. Zum Thema Schweiß: Herr Kerr, der uns immer wieder darauf hinweist, dass ein Bloodywood-Konzert eine "Group Activity" sei, wird nicht müde, das Publikum in mehrere Teile aufzuteilen und aufeinander zurennen zu lassen. Selbstverständlich lassen sich die Anwesenden das nicht nehmen und quasi jeder nimmt so freudig an diesen Aktionen teil, als gäbe es hier das Jugendsportabzeichen zu gewinnen. Irgendwann sitzt dann der ganze Laden wieder einmal auf dem Boden und rudert. Wir kennen das von Orden Ogan, aber was soll man dazu noch sagen...
Egal! Mit "Bekhauf" brettert der nächste Song, der mit den Kolleginnen von Babymetal aufgenommen wurde, von der Bühne. Wie geil wäre es, wenn die Mädels dabei wären? Sind sie aber leider nicht – aber dem wieder im Kreis rennenden Publikum scheint das auch herzlich egal zu sein. Hauptsache wir schaffen unser Trainigsziel.
Nach ein paar weiteren Runden Spinning und Cardioübungen ist das Set vorbei, und nach vielen Dankeschöns verschwindet Bloodywood hinter der Bühne. Aber so einfach dürfen sie heute noch nicht gehen! Es gibt natürlich noch die obligatorische Zugabe in Form von "Gadaar", der Bloodywood-Hymne gegen politische Korruption und Verrat – ein leidiges Thema, das auch in Indien nur allzu bekannt ist. Nachdem nun auch der letzte im Publikum komplett durchgeschwitzt ist, geht das Licht aus (oder in diesem Fall an), und eine der gewaltigsten Sausen der letzten Monate ist leider viel zu früh vorbei.
Aber meine Güte – das war es wert!