Heilige Geister, weiße Hunde und Vorfreude: wir besuchen die St. Kilian Distillers

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Nur noch ein paar Mal schlafen (naja, bis 2019), dann kommt sie endlich, die erste reguläre Abfüllung der rührigen St. Kilian Brennerei. Bereits jetzt sorgt die Destille mit New Makes und anderen Vorab-Editionen, die wir bereits verprobten, durchaus für Furore und schickt sich an, Deutschlands größte Whisky-Herstellung zu etablieren. Höchste Zeit also, sich die Sache vor Ort anzuschauen.

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute trinkt sich nah? Diesem Motto frönt man gelegentlich ja auch mal gerne, auch wenn uns unsere Getränkereisen bekanntlich oft auch in exotischere Gefilde führen. Den eigentümlichen Brauch, an einem doch eigentlich christlichen Feiertag in einer trauten Männerrunde mehr oder weniger ausgedehnte Wanderungen zu unternehmen (und sich dabei natürlich nebenbei ein wenig zu erfrischen), nutzten wir nach dem traditionellen Start auf der Clingenburg zu einem Abstecher ins nahe gelegene Rüdenau, einer kleinen Ansiedlung nahe Miltenberg mit gerade einmal gut 750 Seelen (das wird später noch wichtig, also merken!). Nachdem uns der örtliche Fuhrparkgroßunternehmer mit dem launigen Namen Lars (der zu allerlei Amüsement führte) zuverlässig abgesetzt hat, nimmt uns auch schon unser guide André Kempf in Empfang, der seine eigene Vatertagstour offenbar für uns zurückstellt. Auf dem Außenhof bestaunen wir zunächst die zwei voluminösen, 20 Tonnen fassenden Malzsilos, bevor uns André kurz die Historie nahebringt: auf dem Gelände befand sich bis 2000 eine Kleiderfabrik, bei der es dann einigermaßen den Bach runterging.

Der aus Rüdenau stammende Investmentbanker (ja, offenbar gibt es in diesem Stand doch auch umsichtige Geschäftsleute und nicht nur subprime-Verbriefungs-Händler) Andreas Thümmler kaufte das Grundstück kurzerhand, um es vor dem Schicksal zu bewahren, in einen schnöden Wertstoffhof umgewandelt zu werden. Während einer Whisky-Reise im Jahr 2010 ging der gute Herr Thümmler dem Master Distiller der irischen Kilbeggan Distillery, David F. Hynes, wohl so lange auf die Nerven, bis man ihm endlich das heiß erwünschte persönliche Fass kredenzte, was ganz im Sinne von Casablanca wohl den Beginn einer wunderbaren Freundschaft markierte. Bewaffnet mit diesem know how, gründete Thümmler 2012 seine Brennerei, deren Namen er aus der Historie entlehnte. Wie jedes Kind weiß, das in den 70ern in Unterfranken die Grundschule genoss, missionierten im Jahre 800 drei fröhliche Gesellen aus Irland diese Gegend: die später für heilig befundenen Kilian, Kolonat und Totnan (letzteren Namen fand ich immer besonders amüsant) führten der Sage nach auch einen schmackigen Gerstenbrand im Gepäck, der die Einheimischen wohl besonders überzeugte. Seit 2016 läuft nun mittlerweile - unter der kundigen Aufsicht von Hynes und Mario Rudolf, seines Zeichens Braumeister und mittlerweile zweiter Master Distiller - die Produktion im somit sinnig benannten Hause St. Kilian, so dass man nach den obligatorischen mindestens drei Jahren Lagerung im Jahr 2019 den ersten Brand abfüllen kann, der als Whisky bezeichnet werden darf. Wir sind mittlerweile eingetreten und bestaunen die verschiedenen Gersten-Beispiele, die André uns nun in die Hand gibt. Bei St Kilians kommt deutsche und schottische Gerste zum Einsatz, wobei letztere für die getorften Varianten zuständig ist (hier erfahren wir auch, dass man das Korn selbst auf maximal 100ppm torfen kann und davon letztendlich nur 30% Rauchanteil im fertigen Destillat ankommt – wer hätte das gedacht! Noch rauchigere Kollegen besorgen den Rest dann offensichtlich per Fass-Behandlung mit charring und anderen Methoden). Wie auch die wohl durchaus gut befreundeten Kollegen von Ziegler aus Freudenberg verzichtet man im Hause Kilian auf die eigene Mälzung, sondern bezieht das Material fertig gemälzt vom Lieferanten Weyermann aus Bamberg.

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Die Schrotung lässt man sich aber natürlich nicht nehmen (wir rufen alle gemeinsam einmal laut und deutlich: we call it the grrrist!): wahlweise Pilsner Malz oder Glenesk Malz (eine schottische Mälzerei, die früher selbst Whisky herstellte und das gleiche Schicksal wie Port Ellen auf Islay erlebte) verwendet man zur Weiterverarbeitung, die selbstverständlich in reinstem lokalen Wasser vorgenommen wird (auch hier übernimmt man also die schottische Tradition, nach der ja jede Brennerei das weltbeste universell klare Wasser zur Hand hat). Weitgehend automatisiert, teilweise sogar mit online remote-Zugriff aus Irland (!) läuft der übliche Prozess ab: nach der Maischung in der 12.000 Liter fassenden mash tun (in der wohl bis gestern noch produziert wurde, heute pausiert man aufgrund des Feiertags) findet in vier washbacks, die jeweils 10.800 Liter fassen, die Vergärung statt. André betont dabei durchaus stolz, dass man sich bei St. Kilian bewusst für die traditionelle Holzbauweise entschieden hat, während große schottische Brennereien wie Laphroaig oder Glenfarclas aufgrund der leichteren Reinigung auf Edelstahl umgeschwenkt haben (und auch teilweise, wie im Falle von Caol Ila, wieder zum Holz zurückkehren, weil sich die charakteristische Geschmacksnote eben doch in einigen Fällen ändert) – in Rüdenau entscheidet offenbar das Losglück (oder Pech), wer jeweils zum Schrubben in die Bottiche klettern „darf“. Insgesamt 65 Stunden dauert die Vergärung in den washbacks, auf denen sich (im Gegensatz zu den deutlich größeren Exemplaren in Schottland) während des Prozesses kein Schaum bildet, der gesondert entfernt werden müsste. Weiter geht’s zur konkreten Brennung in den zwei größten Pot Stills Deutschlands, in denen jeweils 6.000 Liter Platz finden. Mit einer Produktionsmenge von 350.000 Litern pro Jahr darf man durch die Abnutzung des Kupfers eine Lebensdauer von ungefähr 20 Jahren veranschlagen; läuft die Produktion wie geplant auf 800.000 Liter pro Jahr hoch, sind die Stills also nach 10 Jahren am Ende, was André offen als kleinen Planungsfehler zugibt: wie genau man in einigen Jahren in das geschlossene Gebäude eine neue Pot Still transportieren will, das muss man sich wohl nochmal überlegen. In jedem Falle wird man bei St Kilians mit diesem Ausstoß zu den größten drei Brennereien in Europa zählen und in Deutschland zum Marktführer avancieren.

Spannendes erfahren wir nun auch über die Wirkung, die die „lines“, also die Hälse der Stills, entfalten: bei einem nach hinten ansteigenden Arm muss das mitgelieferte Wasser erst verdunsten, bevor das Destillat entweichen kann, womit ein sehr milder Brand entsteht; ein abfallender Arm zeitigt logischerweise den gegenteiligen Effekt und produziert einen eher herben Charakter. Die hier befindlichen Pot Stills wurden eigens in Schottland beim Hersteller Forsythe nach dem gewünschten Geschmack mit leicht ansteigenden arms angefertigt und werden von November bis Januar für die torfigen Varianten eingesetzt. Am selbstverständlich hinter Glas befindlichen spirit safe erklärt uns André, dass der Master Distiller wie üblich den Moment entscheidet, in dem der middle cut entnommen wird (Vor- und Nachlauf werden erneut gebrannt), wobei ein reflux kondensator (gerne spricht man auch vom Fluxkompensator) eine Feinsteuerung des Geschmacks erlaubt. Wie schon bei unserem Besuch bei Ziegler sind wir durchaus erstaunt über die Akribie der deutschen Bürokratie: einmal pro Woche bekommt man in Rüdenau Besuch vom Zoll, der sich vom ordnungsgemäßen Zustand des Ziehungsgerätes überzeugt, sprich mittels Spiritzähluhr genauestens prüft, dass auch jeder Tropfen des kostbaren Brands seiner steuerlichen Bestimmung zugeführt wird. Bei jeder Abfüllung ist der Zoll dann außerdem ebenfalls zugegen – immerhin gesteht man als Toleranzgröße bis zu 4% Schwund zu: offenbar sieht selbst der Fiskus ein, dass ein gewisser angel’s share bei der Lagerung unvermeidlich ist. Nachdem wir die Abfüllanlage in Augenschein genommen haben (die schon jetzt zu klein ist…), wandern wir entlang beachtlicher Fasskolonnen ins warehouse, wo die kostbare Fracht ihrer Reifung entgegendämmert. Die Fässer stammen hauptsächlich aus Deutschland, aber auch zahlreiche Vertreter aus den USA (wir notieren als Herkunft hauptsächlich Jack Daniels und die Garrison Brothers aus Texas – amerrrican burrrben eben), Schottland, Frankreich und den klassischen Port- und Sherry-Regionen sind am Start: so etwa erspähen wir etliche Fässer von Seguin Moreau, einer der traditionellsten Küfereien der Welt mit Hauptsitz in Cognac. Aktuell verwahrt man ca. 2.500 Fässer, die Herrn Thümmler verständlicherweise irgendwann einmal einen return auf seinen durchaus beträchtlichen invest von 12 Millionen Euro bescheren sollen. Neben den New Makes bringt man daher immer wieder quasi als sneak peeks Vorabfüllungen unters Volk: Batch 1 (1.200 Flaschen), Batch 2 (2.400 Flaschen) und Batch 3 (832 Flaschen) des „Spirit of St Kilian“ erfreuen sich bei Sammlern bester Beliebtheit und sind weitgehend vergriffen. Aus eigener Erfahrung weiß Cheffe Thümmler allerdings, wie begehrt auch persönliche Fässer sind, die er ebenfalls im Angebot hat: so kann, wer will, ein 30-Liter-Fass sein eigen nennen, wobei in der Anfangsphase auch größere Einheiten speziell eingelagert wurden, die hier unter Aufsicht reifen, wobei der Kunde die Wahl zwischen Rum, Sherry, Bourbon oder anderen Ausführungen hat. Für die Erstabfüllung des eigentlichen Whisky 2019, den man nicht gefärbt und nicht kühl gefiltert in die Flasche bringen will, plant man – Marketing beherrschen sie, so viel steht fest – eine strenge Limitierung auf 760 Flaschen: eine für jeden Dorfbewohner. Dem Vernehmen nach soll danach (à la Lagavulin) eine 16jährige Variante zum Flaggschiff avancieren: eine doch lange Durststrecke von weiteren 13 Jahren, die erst einmal überbrückt sein will, wobei wir zuversichtlich sind, dass man entsprechend findig sein wird. Jetzt aber wollen wir dann doch noch einmal genau wissen, was uns denn 2019 erwartet, und schreiten zum Tasting Tisch. Während André uns den White Dog mit 43% ausschenkt (der uns wieder wie ein sehr intensives Müsli daherkommt), erfahren wir noch, dass der geplante Batch 4 rauchig ausfallen wird und dass Meister Thümmler mit dem Gitarristen der Metal-Kombo And Then She Came (nicht ganz ernsthaft auch bekannt als Along Comes Mary) befreundet ist, mit der man ja das von uns schon getestete „Bundle of the Beast“ kreierte. Mit wie vielen Flaschen wir bei Batch 4 rechnen dürfen, das lässt sich André dann doch nicht entlocken, nur dass die Rüdenauer auch hier ein Vorkaufsrecht haben sollen. Wir gönnen es ihnen.

Vielmehr schwenken wir nun um zum raren Batch 3, der 8 Monate im Jamaica-Rum-Fass verbracht hat und daher mit 44,5% eine angenehme milde Süße entfaltet. Das gefällt uns gut, und natürlich sichern wir uns im Shop oben einige der wenigen verbleibenden Exemplare.  Batch 2 wartet mit 15 Monaten Lagerung im Bourbon-Fass auf und gefällt mit fruchtigem Geruch und der typischen Vanille/Schoko-Note ebenfalls ausnehmend. Den Abschluss macht dann der Cask Strength White Dog, der mit seinen ungezügelten 63% sehr resch und scharf wirkt. Wir schlendern noch in die Verkaufsräume, nehmen hier und heute mal kein persönliches Fass, sondern ein paar Flaschen von Batch 2 und 3 mit, bei denen sich schon ein äußerst vielversprechender Charakter konstatieren lässt, versammeln uns für das obligatorische Selfie mit dem guide und verabschieden uns dann herzlichst. Immerhin müssen wir heute noch weiter wandern, den Einweggrill nutzen und den ältesten Gasthof Deutschlands besuchen. Aber das würde jetzt zu weit führen.