High Voltage! Viermal Hochprozentiges auf dem Prüfstand
/Unser Kollege Dagger hat sich wiedermal dem Wasser des Lebens hingegeben. Viel Spaß mit seinem Bericht…
Schon zu unserem letzten Tasting wurden AC/DC als Begleitmusik herangezogen und auch für die aktuelle Runde müssen sie wieder herhalten. Schließlich passt der Titel ihres 1975er Debütalbums High Voltage ganz vorzüglich zu der heutigen Auswahl hochprozentiger Kandidaten, und sind wir doch mal ehrlich… kernig-bluesige Rocksongs wie „T.N.T.“, „The Jack“, „Live Wire“ und natürlich der grandiose Opener „It´s A Long Way To The Top“ inklusive seiner Dudelsackeinlage machen einfach Durst! Gut möglich, dass dieses Album auch die Inspiration für die Namenswahl des, im Rock`n´Roll-Style gestalteten, Smokehead High Voltage geliefert hat. Aber diesen Tropfen sparen wir uns wegen seines enormen Rauchgehalts für den Schluss auf.
Als erster Whisky kommt der Glenlivet Nádurra an die Reihe. Nádurra ist Gälisch und bedeutet so viel wie „natürlich“. Das rührt daher, dass die unter der Serie Nádurra abgefüllten Whiskys nicht gefärbt, nicht kühlgefiltert und in Fassstärke bzw. in Batch-Stärke abgefüllt werden. Aktuell gibt es in der Nádurra-Serie einen im Oloroso-Sherryfass gereiften, einen im Firstfill Bourbonfass gereiften und einen rauchigen Singel Malt von Glenlivet. Da die nächsten beiden Proben des heutigen Tastings im Weinfass liegen durften, habe ich mich bei der Auswahl für die First Fill Selection aus dem Bourbonfass entschieden. Grundsätzlich ist zu Glenlivets Nádurra-Whiskys zu sagen, dass sie in Batches abgefüllt werden. Jedes Batch setzt sich aus mehreren handverlesenen Fässern zusammen, die dann in natürlicher Fassstärke zusammengeführt werden. Heute auf dem Prüfstand steht Batch FF0716, abgefüllt 07/16 und mit einem Alkoholgehalt von stattlichen 59,17% Vol. Das kräftig leuchtende Gelb dieses Nádurra lässt bereits erahnen, dass hier kein Weinfass bei der Reifung mit im Spiel war. Die farblich suggerierte Frische des Destillats bestätigt sich sogleich beim Nosing, wo einem deutliche Zitrusnoten in die Nüstern dringen. Aber Vorsicht! Wenn man den Riecher zu tief ins Glas steckt, dann beißt der hohe Alkoholgehalt gar heftig. Kurz genippt und schon wird klar – dieser Bursche braucht einen Spritzer Wasser.
An dieser Stelle entbrennt möglicherweise eine Grundsatzdiskussion darüber, ob man Whisky nun mit Wasser strecken sollte oder nicht. Meine Erfahrung zeigt, dass man mit Wasser manch einem Fassstärke-Whisky regelrecht die Seele raubt. In anderen Fällen kann ein kleines Bisschen Wasser wahre Wunder bewirken, den Whisky aufspalten und neue Geschmacksnuancen freisetzen. Da der Glenlivet beim ersten Geschmackstest von einer arg alkoholischen Schärfe dominiert wurde, probiere ich es also mit ein paar Tropfen H2O. Bloß nicht zu viel, damit wir über den 50% Vol. bleiben… und siehe da, der Tropfen wirkt gleich deutlich cremiger und zugänglicher. Zur erschnüffelten Zitrone gesellen sich am Gaumen noch etwas Banane, malzige Getreidenoten, eine dezente Honigsüße und eine Extra-Fuhre Eichenholz. Im Abgang bleibt der Nádurra ausgesprochen lange stehen und räumt nach und nach den für eine Bourbonfass-Reifung typischen Vanillenoten mehr Platz ein. Ein geradliniger und qualitativ hochwertiger Malt aus der Speyside, der zum Einstieg in das heutige Tasting sicherlich eine ausgezeichnete Wahl war!
In Sachen Marketing schlägt der nächste, aus dem Hause Aberlour stammende Single Malt in dieselbe Kerbe wie der Nádurra. A´Bunadh (das „d“ bleibt beim Aussprechen stumm) kommt – wie könnte es auch anders sein – ebenfalls aus dem Gälischen und bedeutet „Das Original“, was in etwa dieselbe Botschaft transportiert wie das Wort Nádurra. Hier ist alles naturbelassen und es gelten dieselben Qualitätskriterien wie oben: keine Farbe, keine Filterung und ein unverdünnter Alkoholgehalt. Der A´Bunadh ist seit langer Zeit fester Bestandteil und absoluter Klassiker der Core-Range von Aberlour und wird daher auch in Batches abgefüllt. Verkostet wird Batch No 56 mit 61,2% Vol., die nach Lagerung in spanischen Oloroso Sherryfässern erreicht wurden. Dass hier ausgesuchte und womöglich auch zum ersten Mal befüllte Sherryfässer Verwendung fanden, verrät uns schon die beeindruckend dunkel rotbraune, zu Mahagoniholz tendierende Farbe, wie sie von Whiskyliebhabern geschätzt wird. In ihr kann man schon ein erstes Qualitätsmerkmal erkennen, denn mehrfach ausgelutschte Fässer geben solch einen satten Ton einfach nicht her. Ein Blick hinters Glas offenbart zudem: da tummeln sich allerhand Schwebstoffe in der gedrungenen Flasche. Dieser Tropfen wurde also definitiv nicht dem kosmetischen Eingriff der Kühlfiltrierung unterzogen, womit er auch keinerlei Geschmacksstoffe einbüßen musste. Obwohl der A´Bunadh ein paar Prozentpunkte an Alkoholgehalt mehr aufweisen kann, als eben der Nádurra, zwickt hier in der Nase kaum etwas. Der hohe Alkoholgehalt lässt sich dennoch erahnen. Kann natürlich sein, dass meine Rezeptoren vom letzten Glas noch immer betäubt sind, die Wahrnehmung reicht aber noch aus, um üppige Sherry-Schwaden samt der typischen Aromen von dunklen Beeren, Sultaninen & Co wahrzunehmen. Pur und mit seinen vollen 61,2 Umdrehungen genossen, erfüllt der Speysider alle Erwartungen, die man an einen Single Malt aus dem Sherryfass stellen kann: da vereinen sich Trockenfrüchte, schwarze Bitterschokolade, Toffee und Eiche zu einem extrem trockenen Körper, der den Rachen sofort pelzig werden lässt und Speichelfluss verursacht. Ein wenig Wasser dämpft zwar den brutalen Einschlag der Aromen und macht den Malt bekömmlicher, dennoch bevorzuge ich in diesem Fall den puren Genuss, passend zum gerade begonnen Song „T.N.T“. Eben ein Whisky mit Sprengkraft und eine Pflichtveranstaltung für Sherryfass-Fans, die sich beim A´Bunadh auf einen laaangen und trockenen Abgang freuen dürfen.
Eine wunderschöne, dunkelrot funkelnde Farbe macht schließlich auch den nächsten Tropfen zum echten Hingucker, der nach kurzer Pause und einem Schluck Wasser mittlerweile im Glas ruht. Die Brennerei Glen Scotia aus der Region Campbeltown an der Westküste Schottlands bringt neben ihrer überschaubaren Core Range auch regelmäßig interessante Einzelfassabfüllungen unter der sogenannten Classic Series auf den Markt. Wir betrachten heute das Fass mit der Nummer 18/353-2, Distilled Feb 2008, Bottled Feb 2019, mit 54,4% Vol.
Bei Fass 18/353-2 handelt es sich um ein First Fill Ruby Portwein-Fass, aus dem insgesamt 311 Flaschen zu je 0,7 Litern gewonnen werden konnten. Wie bei allen Abfüllungen aus Glen Scotias Classic Series handelt es sich hier also um eine streng limitierte Auflage, welche zudem mit dem Attribut „Medium Peated“ für sich Werbung macht. Tatsächlich sind die enthaltenen Raucharomen jedoch nicht unbedingt medium, sondern sehr zurückhaltend, wie man beim Schnüffeln feststellen muss. Charakterbildend ist hier vor allem eine fruchtige Süße, die sich mit alkoholischen Noten verbindet. Geschmacklich domminieren schließlich rote Beeren und Rotwein-Töne, während sich der Rauch weiterhin deutlich zurückhält, den Whisky aber dennoch um eine interessante Facette erweitert. Nach einem kleinen Tropfen Wasser öffnet sich der Glen Scotia dann auf geradezu magische Weise wie ein Buch, in dem es viele interessante Anekdoten zu lesen gibt. Die Früchte kommen noch klarer zur Geltung und in trockener Umgebung erkennt man neben dem leichten Torfrauch plötzlich auch Blutorange und etwas Eiche in Kombination mit dem robust-maritimen Brennerei-Charakter von Glen Scotia. Ein wahrhaft vorzügliches Fass, das hier zur Auswahl kam! Dass man erneut mit einem lang anhaltenden, trockenen und fruchtigen Finale rechnen darf, braucht an dieser Stelle fast nicht mehr erwähnt zu werden.
Freilich muss der werte Leser aufgrund der begrenzt verfügbaren Flaschen nun damit rechnen, dass er diese Abfüllung im Handel nicht mehr finden wird. Sie ist jedoch ein Indiz dafür, dass es sich lohnt, die Classic Series von Glen Scotia ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Zwar sind diese Einzelfass-Abfüllungen nicht ganz preiswert, im Fall von Nummer 18/353-2 war aber jeder einzelne Taler gut inwhiskiert.
Wir kommen auch schon zum letzten Destillat unserer heutigen To-Do-Liste, die sich bei solch hohen Alkoholgehältern auf vier Kandidaten beschränkt. Schließlich will man auch bei der letzten Verkostung noch zur Gänze Herr seiner sieben Sinne sein. Das gebietet schon die Fairness und wird beim folgenden Whisky auch von Nöten sein. Denn von dem behauptet der Vertreiber, er wäre ein „assault on your senses “.
Kandidat Nr. 4 ist tatsächlich ein echtes Schwergewicht und provoziert schon durch seine Optik mit bedrohlichem Totenkopf auf einer edlen Metalldose. Ian Macleoad, der zu den Big Four unter Schottlands unabhängigen Abfüllern gehört, zählt den Smokehead zu seinen Aushängeschildern. Bei dem Singlemalt handelt es sich um einen stark rauchigen Whisky von der Isle Of Islay, dessen Ursprung – sprich die produzierende Destillerie – geheim ist. Man spricht daher auch von einem Mystery Malt. Vertrieben wird der Smokehead aktuell in vier Version: die Standartabfüllung sowie der Rum Riot mit jeweils 43% Vol., Rum Rebel mit 46% Vol., dann die Sherry Bomb mit 48% Vol. und zuletzt der High Voltage mit satten 58% Vol., den wir uns an dieser Stelle genehmigen. Wie bereits die drei Kollegen zuvor, ist auch dieses Rauchmonster non-chillfiltered, für den Farbton in dunklem Bernstein wurde allerdings mit Zuckerkulör nachgeholfen.
Bereits beim Einschenken verströmt der High Voltage derart betörende Raucharomen, dass einem schon das Wasser im Maul zusammenläuft – vorausgesetzt natürlich man steht auf stark getorfte Whiskys. Bei genauerem Hinrichen präsentiert sich der Malt regelrecht speckig und duftet in etwa so, wie ein Rauchbier der Bamberger Schlenkerla-Brauerei schmeckt. Erst einmal im Mund geschwenkt, führt der High Voltage schließlich auch zur prophezeiten Rauchexplosion und vermittelt ein volles und cremiges Mundgefühl. Zum massiven Rauch gesellen sich dann schnell auch nussige Noten und der Eindruck einer salzigen Gischt, wie man sie von vielen Islay-Whiskys kennt. Das ist wirklich großes Geschmackskino für einen anonymen Malt ohne Altersangabe, was die Abfüllung am Ende nur noch mysteriöser macht. Der Kreis in Frage kommender Destillerien ist zwar überschaubar – Caol Ila und Bunnahabhain drängen sich da auf, da sie besonders große Mengen an unabhängige Abfüller abtreten. Ganz sicher sein kann man sich aber nicht, während dieser Rauchkopf im gefühlt endlos langen Nachglühen mehr und mehr geröstete Nüsse und eine feine Vanille-Süße preisgibt. Übrigens: hier bitte kein Wasser! Wasser killt diesen Malt, wie ich schon bei früheren Verkostungen feststellen musste.
Fest steht außerdem: dieser Whisky rockt! Der Song „High Voltage“ beschließt soeben und passender Weise das gleichnamige Album von AC/DC und mir geistert schon das Motto für mein nächstes Tasting durch den Kopf.
An dieser Stelle ein Ranking innerhalb der vier verkosteten Single Malts vorzunehmen, sei höflich verweigert. Schließlich lassen sich die vier Kandidaten dank der unterschiedlichen Fassreifungen bzw. des enormen Rauchgehalts im Finale kaum direkt miteinander vergleichen. Empfohlen werden können sie alle vier als qualitativ hochwertige Erzeugnisse, die für blutige Anfänger womöglich allesamt etwas zu heavy sind, bei Liebhabern und fortgeschrittenen Genießern aber sicherlich ins Schwarze treffen.
Quellen und weiterführende Links: