Hals- und Beinbruch, Flieger: Extrabreit legen Feuer im Strom

27.04.2018
Strom München

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In der Vorstadt tummeln sich immer noch kleine Mädchen mit seltsamen Nasenringen: auch nach sage und schreibe 40 Jahren geben Extrabreit keine Ruhe, sondern laden zum beschwingten Tanz. Da machen wir uns mit unserem Edding doch einen dicken Strich in den Kalender.

Nach einem solchen – nämlich der Variante eines Textmarkers – benannte sich die Kombo aus Hagen, die Anfang der 80er mit der sogenannten Neuen Deutschen Welle (wir selbst fanden ja immer Neue Deutsche Tanzmusik den treffenderen Begriff) hochgespült wurde, obwohl sie mit dem eigentlichen Sound dieser Bewegung eher weniger zu tun hatte (wie auch die Spider Murphy Gang, Falco oder sogar der frühe Grönemeyer). Mit frechem Rock, provokativ-ironischen, sprachgewandten Texten und einem exaltierten Gesangsstil eroberten sie die Charts und die Konzerthallen. Planmäßig reagierte das bürgerliche Feuilleton und vor allem die staatlichen Sendeanstalten mit Unverständnis oder Ablehnung: in Dieter Thomas Hecks Hitparade durfte man zwar sein Unwesen treiben, die Jugendpostille BRAVO war voller Covers, aber im altehrwürdigen Bayerischen Rundfunk spielte man Songs wie das düstere „Polizisten“ nicht, und auch die Anarcho-Hymne „Hurra Hurra Die Schule brennt“ sahen Pädagogenverbände gar nicht gerne – schließlich wurde da die Obrigkeit und der Lehrkörper verunglimpft. Der Popularität half das ebenso wie die kalkulierte Provokation, die Falco später mit „Jeanie“ veranstaltete, ein Prinzip, was ja bis heute funktioniert (hieß bis vor kurzem "Echo", natürlich nur unter echten Kollegen). Sogar bis ins Kino schaffte es die Kombo, die im Marcus/Nena-Vehikel „Gib Gas – ich will Spaß“ 1982 einen Kurzauftritt landete. So schnell wie die NDW kam, ging sie allerdings auch wieder, was Extrabreit dann ebenso schmerzhaft zu spüren bekamen: schon 1983 schwanden die Zuschauerzahlen bei den Konzerten dahin, man versuchte sich an englischem Songmaterial und wurstelte sich in den 90ern einigermaßen durch.

Sänger Kay Schlasse, besser bekannt als Kai Havaii, musste mit privaten Schicksalsschlägen und Drogenproblemen fertig werden, und 1998 wollte man das Handtuch endgültig werfen. Im Zuge des neuen Jahrtausends, das die musikalischen ohnehin betrüblichen 90er endlich abhakte, gingen es die Herren 2002 nochmals an und ackern seitdem unermüdlich für den Lebensabend (der eine hat einen Riester-Vertrag, der andere spielt Roggenroll – am besten macht man beides). In diesem Rahmen also ziehen sie auch in diesem Jahr durch die Clubs und zelebrieren ihr 40jähriges Bestehen. Das wollen im schmucken Strom, das wir ja schon von der schweißtreibenden Ansetzung mit Lacuna Coil kennen und das dem einen oder anderen Schlachtenbummler noch als „altes Crash“ geläufig ist, dann doch ungefähr 300 Nasen sehen. Schnucklig-lauschig geht es zu, ein Blick ins Publikum zeigt eine klare Altersklasse: ja, hier und heute sind ausnahmslos Herrschaften versammelt, die auch 1981 die Hitparrrrrade im ZDF verfolgten. Das überrascht uns nicht, viel mehr allerdings der kleine Hocker, der neben dem Gitarrenequipment steht. Wollen sie uns etwa ein Akustik-Set kredenzen? Möglich ist ja alles. Dankenswerterweise müssen wir nicht durch eine Vorgruppe waten, sondern sind bestens postiert, als pünktlich um 21 Uhr die Protagonisten die Bühne entern (man wird ja zuverlässig auf die alten Tage, das durften wir ja sogar bei ehemaligen Chaos-Garanten wie Guns’n Roses attestieren). Wobei sich Stefan Kleinkrieg mit dem entern etwas schwer tut: auf Krücken kommt er daher und lässt sich auf dem Hocker nieder – an einem gebrochenen Fuß laboriert er wohl, lässt sich aber dennoch nicht davon abhalten, heute für uns aufzuspielen. Roggenroll, mein Freund! Los geht’s nach einem epischen Western-Intro (das hat man heute so) mit einer schmackigen Fassung des titelgebenden „Extrabreit“, gefolgt vom schmissigen „Geisterbahn fahrn“ – wir konstatieren einen durchaus ordentlichen Sound mit Material, das eben für Live-Darbietung gemacht ist: schnörkellos, nach vorne, ohne Firlefanz. Fronter Kai kommt zwar ohne Haupthaar, aber mit bester stimmlicher Präsenz daher, Herr Kleinkrieg (der sich wiederholt als „Captain Huckebein“ bezeichnen lassen muss – wer den Gips hat, muss sich diese Anspielung auf ein schönes Hörspiel meiner Jugend über einen gleichnamigen Unglücksraben wohl gefallen lassen) fabriziert einen warmen, atmosphärischen Sound, und auch Saitenbieger 2 Bubi Hönig tritt das Gaspedal ordentlich durch.

Kai lobt unser Kommen, stellt fest, dass es auch letztes Jahr hier wunderbar war und schätzt sich glücklich, dass das hiesige Helle (Kenner wissen: es heißt Landbier), das er auf der Bühne vorrätig hat, auch im Rest der Republik erhältlich ist. „Her mit den Abenteuern“ (seinerzeit 1982 eine Single-Auskopplung) überzeugt mit feinen AC/DC-Vibes, „Glück und Geld“ („alles, was man braucht!“) und „Kleptomanie“ („wer schon mal was geklaut hat, kann jetzt ein Bier trinken gehen“) halten die 80er-Fahne mit treibenden Beats und spaßigen Texten weiter hoch. In düsterer Stimmung und leicht psychedelisch kommen uns dann die „Polizisten“ entgegen, landläufig eher unter „die Polizei-ei-ei“ bekannt, was wir am Ende denn auch länger intonieren dürfen. Nach dem nächsten NDW-Beitrag „Superhelden“ kommt mit dem „Besatzungskind“ eine Nummer des letzten Albums „Neues von Hiob“ von 2008 dran, die mit astreinem Deutschrock wunderbar zündet. Jetzt rückt der sitzende Stefan Kleinkrieg noch mehr in den Mittelpunkt: die nächsten beiden Stücke „Amsterdam“ und „Liebling“ („so einen Text könnte man heute nie mehr schreiben“) feuert er nicht nur bluesrockig unters Volk, sondern übernimmt kurzzeitig auch die Gesangsdienste durchaus formidabel. Im Publikum beginnt langsam ein wenig Gerammel, was sich allerdings nicht zu der von einigen wenigen wohl beabsichtigten Pogo-Welle mausert. Das brauchen wir hier auch nicht. Zu „Der Präsident ist tot“ schwingt sich dann die Sirene aus Hawaii wieder ans Mikro, „1-1-0“ walzt mit schwerem Riffing alles nieder, Kai besingt die „Randsportart“ Russisch Roulette und erzählt uns dann, dass eine gewisse Hildegard Knef ein höchst interessanter und schillernder Charakter war, mit der man bekanntlich 1993 den alten Schangsong und Stabreim-Bonanza „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von 1968 neu inszenierte, was sie auch heute für uns tun.

Jetzt aber geht es im Gefühle – „denn die hat man ja manchmal“, referiert Psychologie Kai treffend, bevor wir mit „Lass es regnen“ eine wunderbar atmosphärische Ballade erleben dürfen. Fein, meine Herren! Nach den schnellen Nummern „Joachim muss härter werden“ und dem „Lottokönig“ setzt es dann „Hart wie Marmelade“ das Stück, das Herr Havaii auch als Titel seiner durchaus beachteten Autobiographie nahm und zu dem einige Fans dann spontan die Bühne stürmen, was die Herren in keiner Weise anficht. Ein bisschen Punk ist eben immer noch da…erstes kollektives Ausrasten ist dann beim originalen Flieger-Lied angesagt, das nach dem Motto „Piloten ist nichts verboten“ eben die kleine Anarchie predigt, die ganz nach Kais Geschmack sein dürfte. Wobei ich mich frage, wie viele Leute außer ihm hier in Kenntnis sind, dass dieses Stück natürlich nicht von ihnen, sondern ebenso wie die Rosen-Allüren ein alter Gassenhauer ist, den der einzig wahre Individualist und Husar der Lüfte Hans Albers im SF-Klassiker „FP 1 antwortet nicht“ 1932 zum Vortrag bringt (wo der blonde Hans sich ja auch echauffiert, er sei nicht nur ein „Luftkutscher“). Kleine Notiz am Rande: die Nummer erschien in der Extrabreit-Fassung 1980 als Single – mit einer B-Seite namens „Hurra Hurra die Schule brennt“, was man dann 1982 einfach umkehrte und den Flieger auf die B-Seite packte. Single hin, Albers her, jetzt brennt die Luft – quasi mit Phosphor, was jetzt endgültig die ersten leicht tumultartigen Zustände ins Strom zaubert: das Hohelied der Schulpflicht erweist sich auch heute als unverwüstlich. „München leuchtet!“, so ruft uns Kai noch zu (der Vater dieses Wortes Thomas Mann meinte das ein wenig anders, aber egal, genug mit dem gscheid daherreden), dann lässt sich Herr Kleinkrieg von einem Roadie in eine Ecke helfen. Schließlich kommt man natürlich noch einmal zurück, mit „Junge, wir könnten so heiß sein“ gibt es noch eine feine Halbballade, bevor dann „Sturzflug“, „3D“ und „Annemarie“ („die müsstet ihr heute mal sehen!“) den endgültigen Schlusspunkt markieren. Sympathisch, versiert, unterhaltsam, zeitlos – so dürfen wir das Geschehen gerne notieren und wünschen weiterhin bestes Gelingen auf der Reise durch die Konzertsäle Deutschlands. Irgenwie wird es immer stimmen: „das ist neu – das ist neu…“

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