Klassiker, Projekte und Streitfragen: das Q3-Tasting in Wort und Bild

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Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch die mobilen Bestandteile der Kuh-Gruppe: pünktlich zum Sommerende versammelte sich die reisefähige Komponente der bunten Runde, ergänzt um zwei gern gesehene Gasttrinker (wir sind ja tolerant!), wieder einmal in der Landeshauptstadt. Am Start war wieder ein bunter Blumenstrauß, der einige Highlights, aber auch einige Lowlands enthielt. Jo mai!

Nach einer erfolgreichen Anreise und einem kleinen Stadtbummel, bei dem der eine oder andere nicht vollends ortskundige Besucher den vereinbarten, eigentlich weithin sichtbaren Treffpunkt Karlstor durchaus gewagt verortete, fanden wir uns in trauter Einigkeit in der Austragungsstätte ein, wo wie gewohnt zunächst alle Mitbringsel aufgereiht wurden, um sodann die finale Auswahl für die tatsächliche Versuchsanordnung zu treffen.

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Nachdem es den infamen Goldenen Schuh leider (oder glücklicherweise?) nicht mehr gibt, übernimmt die Rolle des scherzhaften Auftaktes ein wenziges Schlöckchen von Argentiniens meistverkaufter Spirituose: dem Breeder’s Choice, einer Mischung aus drei schottischen Single Malts, die nach einer immerhin vier Jahre langen Reifung nach Argentinien gekarrt und dort weiter mit heimischen Bränden vermengt werden. Das schmeckt bei weitem nicht so schlimm wie es klingt, ist immer einen Gag wert und nach dem drastischen Währungsverfall des Peso für umgerechnet 70 Cent an jeder Supermarktkasse zu haben. Jetzt steigen wir aber ernsthaft ein und legen mit dem Glenmorangie 10 Jahre einen unverwüstlichen Standard auf, der für Einsteiger und Kenner gleichermaßen bestens geeignet ist. Mit angenehmen 40% und einer (natürlich nicht ganz echten) hübsch-goldenen Farbe steht er da und steigt mild, gefällig und fruchtig in die Nase, wobei auch ein wenig Vanille mitschwingt. Auf dem Gaumen freut man sich ebenfalls über Vanille und Fruchtnoten, wobei eine exakte Definition der Runde etwas schwerfällt. Mit fruchtig-leichtem Abgang empfiehlt sich diese Basisvariante als eleganter Startpunkt und everyday dram, der auch durch sein mehr als faires Preis-/Leistungs-Verhältnis überzeugt. Der eigens zusammengestellte Fahrplan zum Festhalten eigener Notizen offenbart einstweilen wie üblich unverzeihliche Defizite wie falsche Schriftarten und unerklärliche Leerzeilen, weshalb vereinzelte Teilnehmer – ebenso wie gewohnt – mit dem sofortigen Abbruch der Veranstaltung drohen, was der Gastgeber gerade noch zu verhindern weiß.


Mit gleich zwei Kandidaten ist dieses Mal dann das Hause Glenfiddich vertreten, die Speyside-Heimstatt, die Gründer James Grant bekanntlich mit seinen eigenen Händen nebst Frau und 18 Kindern erbaute. Im Rahmen einer größer angelegten Experimental-Reihe versucht man sich dort seit einiger Zeit an Varianten der Hausmarke, die hierfür in unterschiedlichsten Ausprägungen veredelt wird. Wir beginnen die Geschmacksreise mit dem Glenfiddich IPA, dem – wie der Name schon einigermaßen deutlich sagt – nach einer leider nicht näher definierten Reifezeit noch ein dreimonatiges Finish in Bierfässern zuteilwurde – genauer gesagt in Indian Pale Ale aus der Speyside Brewery. Dieser Versuch, einen klassischen Malt mit der immer noch anhaltenden Kraftbier-Manie zu kombinieren, kommt mit 43% und leider auch Farbe ins Glas und verbreitet dort ein Aroma von Nüssen und Äpfeln. Im Geschmack konstatieren wir dann erst nussige Elemente, die dann von einem nicht unbedingt jeden begeisternden Nachklang überlagert werden. Auf den britischen Inseln gehört die Kunst des Bierbrauens ja nicht gerade zu den Vorzeigedisziplinen, und der für einen kontinentaleuropäischen Gaumen immer leicht schale Geschmack eines Ale – blass indisch oder nicht – macht sich auch hier bemerkbar. So steht dann ein in der Basis zweifelsohne angenehmer Vanille- und Nusston gegen den eben gewöhnungsbedürftigen Ale-Geschmack – hier muss jeder selbst entscheiden, ob das unterm Strich mundet. Wir stellen im Nachgang fest, dass das wohl ein wenig tagesformabhängig ist, wenden uns nun aber dem Glenfiddich XX zu. Dieser Tropfen darf nicht etwa nur von Erwachsenen zu sich genommen werden, wie das X-Rating nahelegen könnte: nein, die römische Zahlenangabe XX steht hier für die 20 Glenfiddich-Markenbotschafter, die Master Distiller Brian Kinsman um sich scharte, damit jeder den persönlichen Favoriten aus zahllosen Fässern wählen konnte – sei es Sherry, Bourbon, Port- oder sonstige Aromen. Diese Marriage aus zahlreichen einzelnen Malts widerlegt eindrucksvoll die These, dass viele Brenner den Brand verderben: schon im Glas überzeugt der XX mit wunderbaren Eiche- und Vanille-Noten. Geschmacklich sorgt die Hochzeit erstmals an diesem Abend für universelle Begeisterung: süß und fruchtig, dennoch anspruchsvoll, mit wunderbar herzhaften Noten und ein wenig Marzipan glänzt er mit seinen 47%. Auch im Abgang vermag der XX durch Erinnerung an süßes Gebäck und Eichen durchaus zu punkten. Der erste Tagessieger steht somit fest.

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Nach der obligatorischen Pause mit Stärkung in Form einer zünftigen Brotzeit, die durch Kredenzung eines falschen Wassers fast den sofortigen Abbruch der Veranstaltung nach sich zieht, gilt es eine kluge Wahl zu treffen: der Kandidat nach dem Essen hat üblicherweise einen äußerst schweren Stand, gilt es doch die würzigen Aromen der in liebevoller Handarbeit hergestellten Köstlichkeiten der WSG zu übertrumpfen. Hieran scheiterten schon die besten Vertreter, aber der kurzerhand zum Nachtisch gekürte Benromach 10 meistert diese Klippe mit Bravour. Schon in der Nase verbinden sich minimale Rauch-Anklänge mit wunderbar süßen Aromen, bevor auf der Zunge der 20%ige Anteil Sherry-Lagerung seine Qualitäten ausspielt: Früchte, Sherry und Peat in schöner Eintracht. Eine hervorragend balancierte Mischung aus mildem Rauch und frischer Süße, die mit 43% bestens ausgestattet rundum begeistert. Fein! Mit erfrischtem Gaumen machen wir uns somit an eine kleine Kontroverse: über die Produktionspolitik von Macallan kann man immerhin geteilter Meinung sein. Mit ambitionierten Preisen, zumindest bis vor Kurzem verstärkt lancierten Expressions ohne Altersangabe und einer neuen Brennerei, an der der alte Fließbandkönig Henry Ford selbst wohl seine helle Freude gehabt hätte, hat man hier offenkundig einen Markt im Blick, der mehr auf einen diffusen, vielleicht vormals verdienten Markendünkel als auf echte Qualität oder Handwerkskunst achtet. Das muss man nicht gut finden, aber dennoch probieren wir gerne den Macallan 10 Jahre aus dem Sherryfass, der in Deutschland nur noch in kleinen Restbeständen erhältlich ist, da man eben stattdessen lieber die alterslosen 1824-Varianten platzieren möchte (zur Ehrenrettung sei gesagt, dass man zumindest in der Core Range mittlerweile wieder stärker auf Expressions mit Altersangabe schwenkt). Schon in der Nase steigt der Sherry-Duft auf, gepaart mit fruchtigen Apfelnoten, was sich auch im Geschmack fortsetzt: viel süßer Sherry, Schokolade und ein leichter Anklang an Nüsse, mit einem langen, runden Abgang. Der Alkoholgehalt ist mit 40% am unteren Rand und somit entgegengesetzt zum Preis, der stolz wie immer daherkommt. Zweifelsohne ein guter Tropfen – ob man die Chose unterstützen will, muss jeder selbst wissen.


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Traute Eintracht (nicht Frankfurt) herrscht dann allerdings wieder beim Zieleinlauf, für den wir uns ein Beispiel aus der rauchigen Reihe von anCnoc vornehmen. Die Knockdhu Distillery aus der Speyside legt für diese Serie verschiedenste Rauchstärken vor, wobei der anCnoc Peatlands 10 Jahre (der vierte im Bunde) mit 9 ppms die geringste Intensität aufweist (zum Vergleich: der Flaughter bringt es auf 14,8 ppm, der Peatheart zählt schon 40 ppms, so geht der Reigen fröhlich weiter). Bei diesem Kollegen mit 46% verbinden sich in der Nase Zitrusfrüchte mit einem angenehm-süßen Aroma von Räucherspeck, das sich auch auf der Zunge breitmacht: süße, sehr gefällige Rauchelemente und Kaffee-Aromen finden wir da. Wir notieren einen sehr gelungenen Vertreter der rauchigen Zunft, der auch Freunde unter den Genießern finden sollte, denen etwa ein Islay-Malt einen Deut zu heftig daherkommt. Wir fachsimpeln noch ein wenig weiter, freuen uns, dass die Veranstaltung dem Abbruch gerade noch entging und widmen uns in dem, was in der Kinderkrippe als „freies Spiel“ bezeichnet wird, noch dem einen oder anderen Nachschlag außer Konkurrenz. Nachdem aber das Geschmackserleben vor Ort durch nichts zu ersetzen ist, melden wir uns demnächst wieder direkt on location – wir empfehlen uns bis dahin!