Miss Marlowe jagt die Gamer-Bande: wir zocken mit Infected Rain, Dragonforce und Amaranthe

10.03.2024 Tonhalle München
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Wenn Elize ruft, sind wir am Start, das ist unabänderlich, vor allem, wenn sich a.) ein töftes neues Werk wie „The Catalyst“ und b.) die Überschallpiloten der Drachenmacht mit im Gepäck befindet. Und Lena schadet auch nichts. Anschnallen, wir fliegen los!

 Irgendwie sind wir in letzter Zeit öfters wieder im ehemaligen Kunstpark Ost, wo sich mittlerweile ja das ganz hip benannte Werksviertel erstreckt – hierüber haben wir zuletzt schon elegisch referiert und lassen das daher sein. Ebenfalls einzubürgern scheint sich die Variante, dass man einfach zwei Hauptattraktionen präsentiert und dank hinzukommender Gäste dann doch zu einer frühen Ansetzung kommen: schon um kurz vor 19 Uhr startet sie Sause heute, die – wie auch schon die Ausspielung von Gloryhammer und Beast in Black vor ein paar Tagen – restlos ausverkauft ist.

Wir wuseln also durch die Menge und schaffen es tatsächlich, noch ein paar Songs des Nu Metal/Core-Kommandos von Infected Rain zu erhaschen. Lena Scissorhands (offenbar die Schwester von Edward mit den Scherenhänden, in Zivil genannt Elena Cataraga) hat die Meute fest im Griff, die – auch das scheint sich zu etablieren – für den Einstiegsact fast schon unanständig gut gelaunt sind. Der Vierer aus der Republik Moldau (mussten wir schon in der Schule lernen, den Herrn Smetana, Klassik ist ja schon irgendwie Metal) knallt seine Nummern mit ordentlicher Energie daher, die Dame mit den Scherenhänden beeindruckt durch vokalistische Macht, das zwischen Klargesang und Rottweiler-Knurren changiert, farbiges Auftreten und massivstes Schuhwerk gleichermaßen. Songs wie „Dying Light“ oder „Because I Let You“ machen gehörig Laune, Frau Cataraga fordert uns abwechselnd zum Tanz und zum Hinsetzen auf (was die meisten brav tun, sieht witzig aus), und ihre Kollegen werfen sich derart in die Bresche, dass Übungsleiter Sebbes begeistert feststellt: „Die tun wenigstens was für Ihr Geld!“ Nach diversen massiven Pits im weiten Rund ist die Chose zu Ende, wir atmen kurz durch und stellen fest, dass die Bude dank der 2000 Schlachtenbummler auch heute wieder gut angewärmt ist.

Jetzt schalten wir aber erst einmal den Fernseher ein: zum Aufbau für Dragonforce flimmert erst ein Testbild, dann ein Promotionfilmchen für die aktuelle Leibchenkollektion über die beiden Mattscheiben.  Um 19.45 startet dann ein munteres Intro mit Disco-Sounds und Lichtflackereien, worauf die Düsenjägerpiloten um Flitzefinger Herman Li mit „Revolution Deathsquad“ das Gaspedal da hindrücken, wo es bei Dragonforce eben ist: gut jenseits des Bodenblechs. Volle Kanüle, und im Gegensatz zum etwas chaotischen Gig im Rahmen des letzten Rockavaria, wo so ungefähr gar nichts klappte, steht heute auch die Technik – der Sound knallt ordentlich, und die Herrschaften zeigen sich auf der sprichwörtlichen Höhe. Optisch steht alles im Zeichen einer Video-Spielhalle aus den 80ern: man wähnt sich in einer gigantischen Arcade, die Akteure tragen spaßige Brillen, und die monströsen Objekte, die sich im verhängten Zustand noch als Judas Priest-Größenordnungsmäßige Boxen verkleideten, entpuppen sich als überdimensionierte Daddel-Stationen, auf denen fröhliche Szenen aus diversen shoot ‘em und punch ‘em up-Klassikern (darunter auch der Punisher!) ablaufen, die in diversen Kneipen sicherlich so manche Mark (Euro war noch nicht am Horizont) verschlungen haben. Shouter Marc Hudson versucht sich in sehr achtbarem Deutsch, das er dann selbst als „Scheihse“ abkanzelt (offenbar ist der Mann wie schon Andi Möller sehr selbstkritisch, auch sich selbst gegenüber) und dann auf Englisch weitermacht: „we are Dragonforce from London“, korrekt. Mit dem rhythmischen „Cry Thunder“ gibt’s eine kleine Atempause, bevor uns Herr Hudson dann informiert, dass Dragonforce von diversen Videospielen inspiriert sei – „are there any Gamers out there tonight?“ Offenkundig ja, worauf nun ein weiterer zentraler Bestandteil der Metal-Mythologie zum Tragen kommt: das Huhn. Ein solches wirft Herr Hudson nun nämlich in die Menge und verlangt, dass das Stofftierchen am Ende von „Power of the Triforce“ doch bitte wieder zurück sein soll – was beinahe gelingt.

Bei mächtigen „Soldiers of the Wasteland“ sind dann wieder sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgehoben, Herman Li liefert sich mit seinem Kompagnon Sam Totman ein Duell ums andere, was in der Virtuosität fast so aussieht wie ein Gitarrentutorial für Fortgeschrittene. Ganz ums Eck erhascht man noch einen Gitarrero Nummer Drei, während am Bass die holde Alicia Vigil mit Wollmütze (auf der Bühne scheint es ein wenig zu ziehen) locker mithält. Das balladeske „Last of the Dragonborn“ bietet eine kurze Verschnaufpause, aber wie Schlagwerker Gee Anzalone die permanenten Blastbeats durchhält, bleibt spätestens beim raketenschnellen, episch langen „Fury of the Storm“ weitgehend rätselhaft. Nun stellt Meister Hudson fest, man sei ja nicht nur meisterlich im schnellen Power Metal, sondern auch im Disco Metal – das Genre, das doch eigentlich die beiden Fraktionen von Battle Beast in Black sich zu eigen gemacht haben. Egal, die „Doomsday Party“ swingt ordentlich, die Videoleinwände führen nicht jugendfreie Szenen aus Brehms Tierleben vor, während sich die Instrumentalfraktion immer wieder gerne auch hoch oben auf den Daddelmaschinen tummelt. Jetzt biegen wir dann in die lustige Hitparaden-Ecke ab: mit „My Heart Will Go On“ liefern sie ein Celine Dion-Cover, das bei einer solchen Geschwindigkeit den Untergang der Titanic sicherlich verhindert hätte. Noch mehr in die Trickkiste greifen sie allerdings bei der nächsten Abdeckungs-Fassung: „you are among the few who have heard a Taylor Swift Metal Cover!“ Word, zumal ich ja nach wie vor keinen einzigen Song der Dame kenne - und das offenbar zu Recht: „Wildest Dreams“, hier flott inszeniert und mit gefälligen Melodien, entpuppt sich im Original, das ich mir am Folgetag leichtsinnigerweise zu Gemüte führe, als unsäglicher Pop-Sirup mit Kinderzimmer-Bravo-Starschnitt-Romantik-Text. Kein Wunder, dass das Zeug so massentauglich ist…hier knallt es immerhin amtlich. Wenn wir uns einen Dragonforce-Song wünschen könnten, was das wohl wäre, will Herr Hudson zum Abschluss wissen: und da kann es natürlich nur eines geben, nämlich das Stück, an dem sich Kohorten von X-Box-Jüngern bei „Guitar Hero 3 – Legends of Rock“ schon die Finger gebrochen haben: „Through the Fire and Flames“ prescht virtuos vorüber, die Herren Li und Totman scheitern offenkundig nicht am Schreddern auf der nächsten Spielstufe. Game Over, möchte man hier passenderweise sagen, wir legen nochmal die Ohren an und konstatieren ein im wahren Wortsinne rasantes Vergnügen.

Wir nutzen die nun doch etwas ausgedehntere Umbaupause – auf der Bühne macht man sich an einem massiven Schlagzeug sowie spaßigen Pappkulissen zu schaffen, die versetzt so etwas wie einen 3D-Effekt erzeugen sollen und das Motto des aktuellen Langdrehers „The Catalyst“ inszenieren – und schauen uns um: unseren Freund vom Abenteuerspielplatz Neuhausen vermissen wir zwar, dafür ist aber ein lustiger Geselle mit Winkehut dabei, der offenbar von der letzten Wiesn übrig war. Nach geraumer Zeit ertönt endlich ein Intro, in dem uns eine metallische Damenstimme informiert, irgendwann sei die künstliche Intelligenz so weit gewesen, die Menschheit zu überrennen – mag alles sein, wenn man bedenkt, dass es mit der organischen Intelligenz schon nicht allzu weit her ist. Kurz vor 22 Uhr springen die Co-Headliner von Amaranthe dann zum Opener „Fearless“ auf die Bühne, Basser Johan Andreassen agiert schnieke mit Weste und Krawattil, Mastermind und Gitarren/Tastenkönig Olof Mörck hat sich wieder eine Glitzerjoppe bei Thomas Gottschalk ausgeliehen (der braucht die Dinger ja nicht mehr so oft wie früher), Wallehaar Nils Molin prescht wie immer fröhlich voran, Grunzer Mikael Sehlin röhrt nach allen Regeln der Growl-Kunst – aber machen wir uns doch nichts vor: natürlich warten wir gespannt, wie die Grazie herself heute auftrumpft. Und das tut sie dann gewohnt fulminant – im Trenchcoat. Schwarz, Glitzerleder, hoch geschlossen, so kommt sie daher, eine Mischung aus Stefan Derrick, Philip(pa) Marlowe und Rick Deckard, den ja schon Flugdienstleister Dickinson bei der Days of Future Past-Tour optisch inszenierte. Natürlich lässt man beim Auftakt gar nichts anbrennen und wirft sich mit „Viral“ in die treibend-groovige Bresche, die schon beim vorigen Ausritt zum Verzücken war. Wobei heute irgendwas nicht so ganz stimmt – Elize wirkt leicht mitgenommen, die Stimme ist offenbar etwas zurückgemischt, und Herr Molin greift öfter ins Geschehen ein als wir uns auf Konserve erinnern können. Sei’s drum, die Energieleistung passt, da wollen wir nicht rumkritteln, sondern erfreuen uns an einem preschenden „Digital World“.

Zur ersten Singleauskopplung vom Katalysator, „Damnation Flame“, lüftet Elize den Mantel dann schon mal – scheint etwas erwärmt zu sein dort oben – und schaltet zusammen mit ihren Kollegen den kollektiven Haarrotor ein, während man einen dem Stück angemessenen zünftigen Tanz der Vampire vorführt. „Maximize“ gefällt seinerseits ganz wunderbar, bevor es dann mit „Stronger“ in Duett-Gefilde abbiegt: die auf Scheiblette von Battle Beast-Diva Noora Louhimo übernommene Parts präsentiert der gute Herr Molin versiert, während Elize sich tapfer, aber offenbar etwas mühselig schlägt – entweder plagt sie eine saubere Erkältung, oder – so meine favorisierte Theorie – die künstlichen Wimpern sind nicht richtig angepappt und lassen die Augen tränen. Wie dem auch sei, mit „PVP“ schlagen sie jetzt in die gleiche Kerbe wie ihre Vorkämpfer: immerhin war diese Nummer die offizielle Hymne für die schwedische E-Sports-Weltmeisterschaftsmannschaft. Wer am schnellsten daddelt, gewinnt – das mag so sein, das Stückchen, seinerzeit eine stand alone Single, raucht in jedem Fall ordentlich. Elize verschwindet zwischen den Liedern immer wieder, die Publikumsansprache übernimmt vollständig Kollege Molin – unsere Theorie erhärtet sich. Umso bewundernswerter, dass man nun dennoch mit „Crystalline“ in die Balladenecke abbiegt, zu der sich Elize – die den Mantel mittlerweile von sich geworfen hat und mit schlankem Beinkleid wieder unter Beweis stellt, dass sie die unangefochtene Königin von Senkelhausen ist – erst einmal auf den Boxen niederlässt. Die wunderbar elegische Nummer entfaltet ihren Zauber unverändert, wir goutieren das unumwunden, während Elize uns mehrfach Herzchen-Zeichen zuwirft. Schön! Jetzt kommt die aktuelle Scheibe endgültig auch zu Ehren: mit „Interference“ und dem Titeltrack „The Catalyst“ bringt man die typischen Trademarks – hartes Riffing, Wechsel von Clean und Growl, elektrische Einsprengsel und eingängige Refrains – ganz markant über die Ziellinie.  

Nach dem ebenfalls neuen „Re-Vision“ schließt sich dann der einzige echte Tiefpunkt an: nachdem Elize mal Pause braucht, feuern sie uns jetzt „Boom!“ um die Ohren, was zu einem rechten Chaos-Geschredder-Brüllangriff gerät. Verzichtbar. Umso wunderbarer, dass Elize jetzt mit hinzugefügtem Wallerock hereinspaziert, während Showmaster Mörök auf dem Tastenbrettchen ein paar Töne aus dem „Hobbit“-Thema intoniert, spaßig wenn man’s erkennt, bevor er dann das stets wunderhaftige „Amaranthine“ anstimmt. Das kommt im ersten Teil durchaus anders als auf Konserve daher, Elize schlägt sich dabei wieder achtbar, und im voll instrumentierten Teil greift dann Herr Molin bewährt ins Geschehen ein. Wunderschön, inklusive einem aus dem Publikum hochgereichten Pappschild mit der Zusicherung „You’re my Amaranthine“, das Elize stolz hochhält. Nach einem wieder ordentlich kredenzten „Nexus“ (das ist eine Zeitschleife, nicht zu verwechseln mit Nixus Minimax, der war bekanntlich Zenturio in der römischen Armee) pausiert man kurz, um dann mit „Archangel“ nochmals zurückzukommen – sicher nicht die beste Nummer, aber beim folgenden „This Song“ zeigt Schlagwerker Morten Sörensen Humor, indem er den Takt von „We will rock you“ zitiert. Zu mittlerweile offener Mähne gibt Elize beim Rausschmeißer „Drop Dead Cynical“ nochmal alles und verabschiedet sich dann mit sehr wenigen Worten von uns – wir wünschen gute Besserung, eilen hinaus und wünschen Modezar Sebbes viel Glück am Leibchenstand: wir wollen immerhin das Aktuelle Sportstudio noch erwischen, das klappt noch, der frühen Ansetzung sei’s gedankt.