40 Jahre wilde Kinder im elektrischen Zirkus: WASP beehren uns nochmal

Vierzig Jahre macht er jetzt, und zwar nicht Klebstoff, sondern seine Rundreise durchs Shock Rock Land. Nachdem die „40 Years Live“-Tour wie so vieles zweimal verschoben werden musste, ließen wir uns natürlich nicht nehmen, in unserem Wohnzimmer mit von der Partie zu sein – immerhin gilt ja nach wie vor auch für uns: we wanna be somebody!

Großes ließ Anfang 2020 die erste Ankündigung und auch das Plakat für die 40-Jahres-Geburtstags-Sause erhoffen: einen (jungen) Blackie mit Axt und charakteristischer Kreissägenhose konnte man da bestaunen, und man raunte von einer Show, die an die schaurig-schönen Anfangstage anknüpfen sollte, den in den 80ern noch praktizierten Rohes-Fleisch-Weitwurf-Wettbewerb inklusive. Wir spulen vor, und siehe da, nach zwei Verschiebungen rollt der Zug doch noch im Backstage ein, womit wir mehr als frohgemut sind, was uns denn da erwarten mag. Die Setlist, mittlerweile ja lobenswerterweise auch im Vorfeld leicht aufzufinden, sorgt allerdings erst einmal für Ernüchterung: dieser Spaß wird a) aus den mittlerweile mehr als sattsam bekannten Zutaten bestehen und b) kurz. Eben keine lange nicht gehörten Schätze wird es geben, keine „Headless Children“, kein „Last Command“, kein „Mean Man“, nichts aus der jüngeren Schaffensphase wie „Mercy“ oder „Crazy“ - es gilt das Klaus Lage-Motto „1000x gehört“. Aber davon lassen sich die Schlachtenbummler nicht verdrießen, selten hat man eine solch lange Einlass-Schlange vor dem Backstage gesehen: das Werk ist (wieder mal) ratzefatze ausverkauft. Das wünschen wir dem Veteranen natürlich, und nach ein wenig Suche nach dem richtigen Einlass für uns beziehen wir die gewohnte Stellung. Die Backdrops sind schon komplett hergerichtet, auch der gute Elvis, der bekanntlich geschmeidig in den Hüften wackeln kann, steht auch schon da – und als es dann um 20.45 direktamente ins Intro „The End“ von den Doors übergeht, notieren wir erstaunt, dass der eigentlich angekündigte Support-Act Images Of Eden heute wohl verhindert ist (oder noch in der Schlange steht). Die Bühne ist derweil aufgemacht wie ein Jahrmarkt, mit verschiedenen Schaubuden, die auf die wechselhaften Phasen der Bandgeschichte verweisen. Nach dem – ebenfalls bestens bekannten – wilden Mix aus bunten WASP-Melodien steigt Blackies mittlerweile langjährige Kombo in Persona von Doug Blair und Mike Duda ins Geschehen ein, an der Schießbude ordentlich unterstützt vom Aquiles Priester, der seit 2017 mit an Bord ist. Auch wenn bei den Herren Blair (eigentlich bislang doch immer ein beeindruckender Übungsleiter) und Duda offenbar die Mitgliedschaft im Fitness-Club abgelaufen ist, kommt der Sound ordentlich rüber, bis dann auch Blackie himself zu uns – geht.

Er wandelt nämlich sehr bedächtig, und dank seiner ausführlichen Einlassungen auf diversen einschlägigen Kanälen wissen wir auch, warum: er hat Rücken, und zwar ganz massiv. Dass er die Tour trotz offenbar erheblicher Schmerzen durchzieht, mag entweder Respekt abnötigen – oder die Frage aufwerfen, warum er sich das denn unbedingt antun muss. Die Öffnungs-Phalanx aus „On Your Knees“, „The Flame“, „The Torturne Never Stops” und dem “Electric Circus” gelingt dennoch ordentlich, auch wenn Blackie – wie gewohnt in lustigen Trändel-Stiefeln und Football-Shirt - doch nur arg eingeschränkt agieren kann. Mit „L.O.V.E. Machine“ und dem Lied vom Eimer (Eimer Wild Child) gibt es weitere eingespielte Nummern, bei denen sich der Maestro gesanglich, so hat es zumindest den Anschein, nicht ganz ohne technische Unterstützung aus der Affaire zieht. Die Meute scheint das nicht weiter anzufechten, im Pit geht eine fröhliche Ü50-Party ab, in der sich sogar der eine oder andere jüngere Streiter findet, der in Look and Feel direkt einer Zeitmaschine mit Startpunkt 1984 entsprungen scheint. Auf den Leinwänden flimmern die alten Videos, die bei Lichte besehen durchaus amüsant anzuschauen sind, leider aber auch den Unterschied zur seinerzeitigen Aggression und Dynamik offenbaren. Hin zu seinem immer noch respektiertesten Oeuvre schwenkt der dunkle Herr nun mit „The Idol“, bei dem die Schwarz/Weiß-Film-Inszenierung ebenso wenig fehlen darf wie ein schier endloses Gniedelsolo von Herrn Blair. Kaum zu glauben, dass das „Crimson Idol“-Meisterwerk auch schon 30 Jahre auf dem Buckel hat – wir sind froh, dass zumindest wir nicht älter werden. „The Great Misconceptions of Me“ und das Schlachtross vom “Chainsaw Charlie” schließen sich an, vor allem der Kettensägenmann sorgt gehörig für Laune – und wir diskutieren im Nachgang noch lange angeregt darüber, ob Blackie hier live oder aus der Konserve zu hören war. Und jetzt kommt – der letzte Song vor dem Zugabenblock. Ernsthaft. „Blind In Texas“ fährt wie immer gut ins Tanzbein, das Video macht ordentlich Stimmung und erinnert wohlig an die Zeiten, als der Clip im einzigen wahren Musikfernsehen bei „Formel Eins“ lief, Gürteltier-Rennen inklusive. Blackie verabschiedet sich schon mal, aber der Fernseher geht natürlich nochmal ins Rennen: in einer spaßigen Schrift, die an C64-Programmier-Abende Mitte der 80er erinnern soll, und vor allem zahlreichen TV-Ausschnitten flimmert da nochmal die Geschichte des PMRC vorüber, jener Vereinigung, die als „Washington Wives“ unter Führung von Al Gore-Göttergattin Tipper in aller Rock (und teilweise auch Pop) Musik den Leibhaftigen vermutete und die „Filthy 15“ ausrief – kein Wunder, dass Blackies lauschiges Liebeslied vom „Animal“ mit dabei war. Wir lernen zumindest noch, dass der „Parental Guidance“-Hinweis (auch genannt „Tipper Sticker“) erstmals auf dem „Last Command“-Album angebracht war, bevor der ganze Spuk dank der Präsidentschaftsambitionen von Mr. Gore bald endete, und dann ist die Nummer schon vorübergerauscht. Jetzt gibt es noch das Who-Cover „The Real Me“ zu bestaunen, Blackie hält eine kurze Rede über die tollsten Fans der Welt, und dann ist mit dem immer präsenten ersten Hit „I wanna be somebody“ endgültig Feierabend. Wir schauen kurz auf die Uhr: mit viel Wohlwollen 60 Minuten haben wir gerade erlebt. Entweder das Tourhotel liegt am Tegernsee, der Flixbus fährt – oder für mehr reicht die Gesundheit eben nicht mehr aus. Wir tippen mal auf Letzteres, zumal der gute Elvis heute gar nicht in Aktion treten durfte, und wandern von dannen, immer noch zwiegespalten in der Frage, ob das nun eine achtbare Kraftanstrengung war und vielleicht doch eher nicht unbedingt hätte sein müssen. Sehr gespannt darf man sein, ob er uns überhaupt noch einmal beehrt. Vollkommen ohne Zweifel bleibt, dass wir in jedem Falle eine baldige Genesung wünschen. Get well, Blackie!