Wunder, die noch auf uns warten: Xandria feiern mit uns ihr neues Werk

04.02.2023 Backstage München

Happy release party! Wenn die wieder erstarkten Symphonic Recken um Marco Heubaum anlässlich der Veröffentlichung der aktuellen Scheibe “The Wonders Still Awaiting” auf Stippvisite vorbeischauen, sind wir doch dabei. Vorhang auf!

Im Fernsehen (das gab es im Zeitalter vor den allgegenwärtigen Strömungsdiensten mal) ist der Balkon ja für sarkastische ältere Herren reserviert, die das wöchentliche Geschehen als „running gag“ süffisant kommentieren. An diesem Samstag aber bevölkern nicht etwa Waldorf und Statler, sondern eine ganze Horde von Schlachtenbummlern die oberen Ränge des Clubs, die üblicherweise gar nicht geöffnet sind. Heißt: der Laden ist rappelvoll – offenbar schlägt das neue Material, mit dem Marco Heubaum seine Formation Xandria reanimiert ein, ordentlich ein und vor allem in die richtige Kerbe. Die neue Scheibe „The Wonders Still Awaiting“ gab es in Häppchen ja schon über die letzten Wochen verteilt zu hören, jüngst erst wurde mit „Two Worlds“ ein durchaus episches Stück inklusive Video auf die staunende Welt losgelassen, und am Freitag, dem 04.02. steht das Werk nun auch physisch zur Verfügung. Zur Feier des Tages hat man sich für eine Kurztournee entschieden, die nach Ansetzungen in Essen und Leipzig auch in unserem Wohnzimmer Station macht. Vor nicht allzu langer Zeit konnten wir sie ja bei der Co-Headliner-Tour mit Visions Of Atlantis gegenüber in der Halle bestaunen, umso gespannter sind wir, wie man sich denn heute schlagen wird.

Erst einmal aber tauchen wir ein exotischere Gefilde: die Singer/Songwriterin Moran Magal  krendenzt uns durchaus schmackigen Dark Pop/Rock, der geprägt ist von ihrem virtuosen Klavierspiel und der ausdrucksstarken Stimme, die immer wieder mal an die beste Tradition des Genres erinnert. Die Dame (ursprünglich aus Israel, residierend mittlerweile in Berlin), die unter anderem schon mit den Landsleuten von Orphaned Land oder auch Tanzwut kooperierte, führt eindrucksvoll durchs Programm, das sich in erster Linie aus Stücken des 2019er-Albums „Under Your Bed“ zusammensetzt, aber auch die neueste Kreation „Songs For Lonely Times“ einbaut. Nummern wie „Don’t Fall Asleep“ oder „Under Your Bed“ sind wenig Metal, eher dunkler, melodischer Rock, aber laufen zweifelsohne gut rein, gefällt und setzt auch ein politisches Statement, als die Dame das Stück „Black Swan“ „the brave women of Iran“ widmet. Das nehmen wir alles gerne, zumal sich die Chefin auch höchstpersönlich am Merch-Stand Zeit für einen Plausch, Foto und auch Unterschrift nimmt.

In der kurzen Pause lassen wir Revue passieren, dass bei der vorigen Ansetzung die neue Fronterin, die Marco Heubaum für sein Symphonic-Kommando rekrutiert hat, schon mal eine mehr als passable Figur machte, aber durch eine Erkältung geplagt noch nicht ganz Vollgas geben konnte. Dennoch konnten wir uns schon im September letzten Jahres davon überzeugen, dass die damals bereits geläufigen neuen Nummern wie „Reborn“ oder „You Will Never Be Our God“ bestens ins Kontor krachen. Umso erfreuter nehmen wir zur Kenntnis: mit der eben genannten Single (bei der auf Konserve auch Trainingsleiter Ralph Scheepers mitmischt) steigen Xandria auch heute ins Geschehen ein – und Ambre Vourvahis zeigt sich heute in jeder Hinsicht bestens sortiert. Stimmlich jederzeit auf der Höhe, mit bezirzend-elegantem Stageacting und mit wallenden Umhang schwingt sie sich durch die cleanen Passagen ebenso wie durch die respektablen vorgetragenen Grunz-Attacken (ja, diese zierliche Dame growlt durchaus furchteinflößend). Rechts postiert wirft sich auch Marco (Haare lang, Bart weiter dran) beherzt ins Zeug, drängt sich dabei aber nie in den Vordergrund, sondern überlässt die standesgemäßen Poser-Anflüge gerne dem Kollegen Robert Klawonn, der sich mit Gusto in diese Rolle wirft, wobei beide gerne mal in einem gewaltigen Dampfstrahl verschwinden. Am Schlagwerk sorgt Dimitrios Gatsios, der vermutlich im gleichen Fitness-Studio wie Gaststar Scheepers trainiert, für ordentlichen Druck auf dem Kessel. Die stattliche Menge (so voll war der Club zumindest in meiner Erinnerung bislang nicht zu bestaunen) goutiert das unumwunden, so dass man ohne viel Federlesens gleich mit dem Song nachlegt, der die Kombo in den Worten von Ambre zurückbrachte: „Reborn“ servierte als erste Single und Lebenszeichen der Band 2022 nach immerhin fünf Jahren Funkstille in der Tat ein weiteres Beispiel für den druckvollen, pompösen Symphonic Metal, den Marco immer wieder perfekt zu inszenieren weiß. Die dritte Granate „We Are Murderers (We All)“ vom durchaus hochgelobten „Theater of Dimensions“-Album von 2017 packt dann endgültig den Knüppel aus dem Sack und geht massiv zu Werke, mit Haarrotor und Growls inklusive. Dieses Anfangs-Brett hinterlässt massiv Eindruck, die Schlachtenbummler sind verzückt, und die Kombo quittiert die allseitige Freude durchaus sichtlich mit Zufriedenheit. Läuft bei uns! Trotz oder gerade wegen der räumlichen Begrenzung macht es heute durchaus Laune, quer durch den Saal zu tigern, wobei vor allem die Treppe eine Sicht wie quasi auf der Bühne ermöglicht und auch den Blick nicht nur auf das Equipment, sondern auch das Schuhwerk erlaubt, das erneut zeigt: Frau Vourvahis rüstet sich mit lackglänzenden Gummistiefeln nach wie vor gegen einen Wassereinbruch. Man kann ja nie wissen!

Auch vom Balkon bestaunen wir das Geschehen kurz, bei dem die Frontgrazie die Meute durchaus zu dirigieren versteht, aber zu den Klängen des elegischen „Forevermore“ eile ich dann doch wieder nach unten. Diese Nummer vom „Neverworld’s End“-Album von 2012 gefällt in seiner Melancholie ganz hervorragend, der Sound knallt ordentlich – alles weiterhin im grünen Bereich. Das sieht auch die erste Reihe so, in der durchaus kuriose Maskottchen mitgeführt werden, so etwa ein leuchtend gelber Pokémon, der es am Ende hochgehalten auch aufs Bandfoto schafft. Nach „Ghosts“, dem nächsten Beitrag der neuesten Langrille mit Up-Tempo-Beat und schmackigem Refrain, wirft sich Ambre beherzt in eines der Signatur-Stücke der Dianne van Giersbergen-Ära: „Nightfall“ walzt heran, bringt die ganze Theatralik der Inszenierung eindrucksvoll an den Start und zeigt dabei aber gleichzeitig auch, dass die gute Frau Vourvahis gegenüber ihrer auf diese Stimmlage konzentrierte Vorgängerin ein breiteres vokalistisches Reptertoire zu bieten hat. Was denn auch bestens zur Ausrichtung der neuen Nummern passt, die nicht mehr in die Opernecke gehen, sondern oft auch straighte Rock-Elemente auffahren. Das zeigt sich auch beim nun folgenden, epischen Werk „Two Worlds“ - dieses Stück, gut jenseits der 6-Minuten-Marke und auch optisch als neuestes Video umgesetzt, setzt den Ton des neuen Albums musikalisch wie inhaltlich: von Symphonie über ruppige Abfahrten in der Mittelsektion (inklusive Grunz-Einlage) ist alles geboten, textlich geht es um den Scheideweg zwischen einer dystopischen Zukunft („macht’s nur so weiter!“, würde Monaco Franze da sagen) und den Wundern, die uns erwarten, wenn wir die Kurve doch noch kriegen (aha, daher also der Name des Albums). Wir bleiben bemüht. „Your Stories I’ll Remember“ beginnt dann bedächtig, die Kombo zieht sich kurzfristig auf die Seitenlinie zurück und überlässt der guten Ambre gemeinsam mit Landsmann Gatsios das Feld, bevor man dann sukzessive wieder ins Geschehen einsteigt. So langsam kommt der Paulchen Panther-Effekt zum Tragen, so beeindruckend und unterhaltsam ist die Sause, dass man sich fragt, wo die Zeit denn hinfliegt, zumal mit „Death To The Holy“ jetzt kollektives Ausrasten angesagt ist. Massives Brett und mit ein Highlight  des Abends! Mit dem schmackigen „My Curse Is My Redemption“ (neu) biegen wir schon auf die Zielgerade ein – We have fun playing it“ stellt die Dame fest - , der Titeltrack „The Wonders Still Awaiting“ (auch neu, natürlich) zündet auch live ganz wunderbar, bevor dann das Stück folgt, das nach Ambres Vermutung „brought many of you to Xandria“: stimmt, auch mich fing damals 2004 (ja, so lange ist das her…) der veritable Hit „Ravenheart“ ein, den Marco selbst mal als „unser Smoke on the Water“ bezeichnete. Das kommt auch heute bestens, wird aus allen Kehlen beherzt mit intoniert und lässt nur den kleinen Wunsch offen, dass wir demnächst auch wieder einmal noch andere Stücke aus der ja doch langjährigen ersten Bandphase bestaunen dürfen - im Katalog wären ja durchaus einige Perlen zu finden. Aber für Nostalgie bleibt keine Zeit, ein krachiges „Valentine“ liefert einen fulminanten Schlusspunkt unter ein Set, das ein lautes Ausrufezeichen hinter die mehr als eindrucksvolle Rückmeldung dieser Macht im symphonischen Metier setzt. Schade nur, dass Marco das Wort nicht an uns richtet – zu erzählen hätte er sicherlich so manches. Umso besser, dass er uns im Nachgang für einen Plausch zur Verfügung stand. Wir sehen uns bald!