Im Wohnzimmer unter dunklen Himmeln: wir räuchern mit Anneke van Giersbergen

28.04.22 Backstage München

Darkest Skies Acoustic Tour: unter diesem Motto beehrte uns die rührige Anneke van Giersbergen und lud uns direkterweise zu ihr nach Hause ein. Zumindest vom Ambiente her, in das man das Backstage für diesen Abend hüllte. Wir nehmen Platz und lauschen.

Anfangs kämpfen wir allerdings mit kleineren technischen Unzulänglichkeiten. Modezar Sebbes erspäht nämlich die Chance, am Leibchenstand endlich wieder die Garderobe der Arbeitskleidung zu ergänzen, scheitert dann allerdings zunächst am nicht funktionablen Kartenlesegerät des Shopbetreibers. Nachdem ich allerdings Liquidität bereitstellen kann (ist ja auch im realen Leben mein Tagesgeschäft) und als bekennender Paypal-Nichtversteher auch eine spätere Regulierung akzeptiere, kann es dann auch schon alsbald losgehen. Verwundert haben wir schon beim Hereinkommen festgestellt, dass der Hinweis „Bestuhlt“ durchaus wörtlich gemeint war: die Backstage Halle ist mit ordentlichen Reihen gefüllt, die sich auch ansehnlich füllen.

Die Schlachtenbummler heute kennen wir teilweise von anderen Ansetzungen, allerdings hat man sich heute in fesche Polo-Shirts geworfen und vor allem, wie Soziologe Sebbes scharfsinnig erkennt, die Freundin mitgebracht. Auf der Bühne schaut es eher spartanisch aus: drei akustische Sportguitarren, ein kleiner Sitzwürfel, ein Teppich und vor allem ein kleines Tischchen, was noch schnell mit einer Thermoskanne Tee bestückt wird, bevor die gute Anneke in schicker Bluse und Glitzerhose hereinspaziert. In wunderbarem holländischem Akzent begrüßt die Dame, die wir schon in unterschiedlichsten Inkarnationen bestaunen durften (solo ebenso wie mit ihren Bands The Gentle Storm und Vuur) uns höflich („Guten Abend, wie geht’s?“), versichert uns ihre hohe Freude, dass wir anwesend sind, und legt mit „Beautiful One“ mit einem zauberhaften Stück aus der Agua de Annique-Zeit los. Das ist blitzsauber, getragen, elegisch, und am Ende lächelt die Dame uns unwiderstehlich an und schüttelt die Gitarre ein wenig, als ob auch der letzte Ton herausgelockt werden soll. Die Menge ist standesgemäß verzückt, weiter geht’s mit der ersten Nummer der aktuellen Scheibe „Darkest Skies“: „Love You Like I Love You“ entfaltet weiter den Zauber, den eben nur eine gekonnte akustische Darbietung zu entwickeln vermag. Über das nun folgende Stück bemühten wir uns schon im Vorfeld um die korrekte Aussprache: Agape, Agayp, Achap? „The next song is called Ajape“, klärt Anneke dieses Rätsel auf und kredenzt einen der besten Songs des neuen Albums, der mit der wunderbaren Zeile „The darkest skies are the brightest“ und einer unnachahmlichen Atmosphäre aufwartet. Ganz großer Tennissport, so urteilen wir da.

Jetzt muss die Dame ein wenig ausholen: Cover-Songs gehören ja seit jeher in ihr Repertoire, vor allem habe sie „an eclectic set of covers from the 80s“, die ihr hauptsächlich durch die Playlist-Funktion eines allseits bekannten Musikströmungsdienstes in den Sinn kommen. In ihrer „Anneke goes to Church“-Tournee habe sie gerade erst in Holland ausschließlich Kate Bush-Nummern dargeboten, so berichtet sie und bringt uns nun mit „Running Up That Hill“ eines der goutierbareren Stücke der exzentrischen Troubadine zu Gehör, die nach meinem bescheidenen Dafürhalten außer der Heathcliff-Anrufung „Wuthering Heights“ nicht wirklich etwas zerrissen hat. Sei’s drum, Anneke interpretiert das durchaus rhythmusorientierte Stück auch stromlos exzellent. Zu „My Mother Said“ (ebenfalls vom aktuellen Album) berichtet sie uns nun launig, dass Teenager stets glauben, die Welt erfunden zu haben und dass außer ihnen eh keiner was kapiert, was jeder bestätigen kann, der das Abenteuer Nachkommenerziehung unternimmt – wobei Herr van Giersbergen Junior wohl auch Stilrichter über die Outfits der Frau Mama ist und das heutige Ensemble (inklusive Stiefeletten – das Schuhwerk ist wie stets ein Attraktionspunkt) abgesegnet hat. „The new generation knows better than us. They have TikTok!”, so enthüllt sie uns amüsant das Bildungsgeheimnis der Generation X, Y und Z. Das wissen wir somit auch, und mit „Saturnine“ kommt nun endlich auch ein Kapitel aus der The Gathering-Historie zu Ehren, das wir uns bestens schmecken lassen. Zwischenzeitlich stellt Logistikforscher Sebbes fest, dass die überschaubare Ausrüstung auch eine Anreise im Flixxbus zugelassen hätte, bevor es mit „Lo and Behold“ und dem Devin Townsend-Cover „Ih Ah“ („you can sing along, the lyrics are really easy“) weitergeht. Jetzt kommt dann allerdings der einzige Punkt des Abends, an dem wir abweichender Meinung sein müssen: nein, die beste Band der Welt ist ganz bestimmt nicht Pink Floyd, liebe Frau van Giersbergen. Das ist und bleibt selbstverfreilicht und ohne jeden Zweifel eine Kombo um einen gewissen Steve Harris, und auch wenn „Wish You Were Here“ nicht schmerzt, stelle ich wieder fest, dass es schon seine Ordnung hatte, dass ich in meiner immerhin schon einige Zeit zurückliegenden Schulzeit zu den ganz wenigen gehörte, die der englischen Bombast-Rock-Fliegende Schweine-Laserbühnenshow-Formation nicht frönten. Und das ist auch gut so. Schade nur, dass sie uns nicht wie bisweilen schon geschehen eine Maiden-Nummer wie etwa „Wasted Years“ bringt. Aber wir können Anneke natürlich nicht böse sein, zumal sie uns nun erklärt, dass sie auf der Bühne kurzerhand ihr Wohnzimmer nachgebaut hat, um sich heimisch zu fühlen: „I have my couch, I have my carpet, my tea, and now I am going to burn some incense.“ Gesagt, getan, und so kommen wir im Backstage erstmals in den Genuss einer ordentlichen Räucherstimmung, die irgendwo zwischen Studentenbude und Osterhochamt oszilliert. Fein! Mit „I Saw A Car“ kommen wir nun in den Genuss eines nach eigenem Bekunden etwas außergewöhnlichen Stückchens, das sie mit rhythmischem Tapping auf dem Klangkörper bestens inszeniert. Bei „Mental Jungle“ wagt sie sich sogar an die türkischen Textpassagen, die ein sprachkundiger Schlachtenbummler im Publikum im Anschluss beurteilen darf und die Darbietung sehr wohlwollend abnimmt.

Mit „Like A Stone“ gibt es weiteres Cover, dieses Mal vom ehemaligen Soundgarden/Audioslave-Mastermind Chris Cornell, was beweist, dass der ja schon länger verschiedene Kollege durchaus brauchbares Material im Ärmel hatte. Jetzt erzählt sie uns gut gelaunt, sie könne jetzt „like a diva“ die Bühne verlassen, wir müssen Zugabe rufen, sie käme dann „like a diva“ zurück und würde noch zwei Stücke spielen. Dieses Ritual könne man sich doch auch sparen, sie bleibt einfach und bringt uns mit „Hurricane“ noch ein weiteres echtes Highlight der Platte, das auch spieltechnisch maximal überzeugt. „Weary“ stellt dann, wie sie uns informiert, das Sahnehäubchen dar, „the cherry on the cake, like a little dessert“. Ist es auch, Anneke verneigt sich artig vor uns, dankt uns dafür, dass sie mit uns „in this bubble of love“ diesen Moment verbringen durfte und verabschiedet uns dann mit einem “Vielen Dankeschön” (Herr Dorn hat das also doch durchgesetzt). Wunderbar, entspannt, eindrucksvoll und voller Atmosphäre war es. Und der Weihrauch ließ bis zum Schluss nicht nach. Schön! Wir danken unsererseits und wandern von dannen.