Wir lauschen dem Feind mit Jadu
/31.03.2019
Ampere München
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“Werd' dir nicht widersprechen. Was du sagst, tu' ich sofort. Die Luft wird langsam dünn für uns. Die Kontrolle geht verlor'n.” Diese Worte haucht mir eine äußerst ernst dreinblickende Dame mit langen schwarzen Stiefeln, Ledermantel und hautengem Latexbeinkleid sehnsuchtsvoll in einem winzigen, düsteren Club direkt ins Gesicht, nur um mir direkt darauf zu verkünden, wie unsympathisch sie sei.
Doch das ist nicht das Einzige, was diesen Abend im Münchner Ampere äußerst verwirrend und surreal macht. Aber beginnen wir von vorne…
Es gibt Konzerte, auf die freut man sich monatelang. Und es gibt Konzerte wie dieses hier und heute, da landet man durch mehr oder weniger zufällige Ereignisse im Zeitenlauf einfach mal schnell irgendwo außerhalb der eigenen Komfortzone, die in unserem speziellen Fall musikalisch ja bekannterweise Heavy Metal ist. Und um noch einmal kurz vorzugreifen: Auch wenn wir uns hier auf Abwege begeben, es hat sich tatsächlich gelohnt.
Die Schublade Military-Dream-Pop hat sich das Quartett namens Jadu aus Berlin auf die wehenden Fahnen geschrieben, und zwar wie den Bandnamen in markanter Frakturschrift. Zugegebenermaßen, das militärische Image, mit dem sich Jadu umgeben, und die Texte, die teilweise sehr deutlich auf Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg hinweisen, wirken erst mal abschreckend und ich frage mich, was denn die “Nachricht vom Feind”, wie die Tour betitelt ist, beinhalten soll. Aber ähnlich wie die aktuelle Rammstein-Single “Deutschland”, die ja gerade das Internet und die internationale Klatschpresse von unten nach oben krempelt, will uns Sängerin Jadula Laciny (oder eben kurz Jadu) nicht direkt den Code zum Entschlüsseln der Nachricht in die Hand geben, sondern will provozieren, täuschen und verwirren.
Nachdem ich meinen Gefechtspanzer draußen vor der Muffathalle abgestellt und mich bis in das gemütlich-kleine Ampere vorgearbeitet habe, schaue ich kurz vor dem Auftritt in einen noch recht leeren Saal. Dort erfahre ich allerdings, dass beim Tourauftakt in Berlin so exquisite Gäste wie Rammsteins Sänger Till Lindemann, Campino von den Hosen und Jadus Ehemann Marteria zugegen waren. Damit dürfte die Frage der politischen Ausrichtung hinreichend geklärt sein. Dasselbe dürfte allerdings auch ein flüchtiger Blick auf die Bühne offenbaren, denn Jadu entspricht mit ihren schwarzen Locken und der dunklen Hautfarbe sicher nicht dem, was nach arisch-völkischer Ideologie als Garant für “ideale” Nachkommen gilt.
Jetzt aber Stellung einnehmen, Helm auf und los... Jadu ruft zum Appell und mit dem “Feldzug Berlin” starten wir in das Getümmel, welches inzwischen aus immerhin circa 35 Zuschauern besteht. Aber da erwartet uns die nächste Überraschung. Martialische Songtitel wie “Blitzkrieg”, “Todesstreifen” oder “Treibjagd” erinnern mich an Metallicas Vertonung von “Blitzkrieg”, an Accepts “Stalingrad”, God Dethroneds “Passiondale” oder an das Tarnhosen-Kommando Sabaton, welches inzwischen jedes kleine oder größere Gemetzel der Weltgeschichte musikalisch durchgekaut hat, und erzeugen damit unbewusst eine gewisse Erwartungshaltung. Aber Pustekuchen! Statt Double-Base-Drum-Gewitter - das unscheinbare Wörtchen Pop in der eigenen Genrebeschreibung wäre eventuell ein Indiz gewesen - ertönen Streicher und Jadu haucht trotz straffem Militäroutfit bei “Feldzug Berlin” in bester Lana-Del-Ray-Manier mit fast zerbrechlicher Stimme ins Mikrofon, als würde sie sich in einem roten Abendkleid auf einem Flügel einer Jazzbar der 1930er Jahre räkeln. In meinem Kopf beginnen Synapsen, die zuvor selten kommuniziert haben, miteinander zu reden, um Bild, Lyrik und Sound zu einer halbwegs sinnvollen Einheit werden zu lassen.
Und ja, nach den ersten verwirrenden Sekunden entwickelt die Soundlandschaft, die sehr viel mehr nach Filmscore als nach Rammstein klingt, eine fast hypnotische Anziehungskraft. Ok ok… also Luft holen, ruhig atmen und weiter im Text. So langsam schweift der Blick dann auch zu dem Rest der in Uniform und mit weißer Armbinde gekleideten Band. Links auf der Bühne Keyboarder Mats und Gitarrist Tom, die beide auf einem beeindruckenden Sammelsurium aus Tasten, Kabeln und Knöpfen herumdrücken, während Schlagzeuger Pascal im Hintergrund rechts für den richtigen Rhythmus sorgen darf. Dabei wandelt Jadu musikalisch immer im Bereich zwischen düster-epischer Filmmusik, melancholischem Gothic Rock und traurigen Pop-Balladen mit Elektroeinsprengseln hin und her.
Was die ganze Kapelle aber partout versucht zu vermeiden, ist, die Contenance zu verlieren. Selbst die recht witzige Stehaufmännchenchoreographie des Keyboarders wird hier todernst durchexerziert. Damit wird das, was eigentlich zu einem Live-Konzert gehört - das Wilde, der Exzess, das Ausrasten, das Posen - unterdrückt (selbst Slayer lachen auf der Bühne… ehrlich!) und durch langsame, getragene Bewegungen ersetzt. Nur ganz selten, manchmal bei den Refrains, bricht Sängerin Jadu aus dieser steifen Rolle aus und wird für einen kleinen Moment zu einer ausgelassenen Rockerin, die das Mikrofon mit Inbrunst umgreift und mit ganzem Körpereinsatz und fester Stimme hineinschreit, nur um kurz darauf wieder in einer Art warmer Melancholie zu schwelgen. Genau das sind aber die absolut magischen Momente dieses Abends, denn die schweren Texte, der Pathos, das martialische Outfit, die Militäruniformen wirken wie eine Art Schutzwall, hinter dem hin und wieder eine verletzliche und zerbrechliche Stimme hervorlugt. Schafft man es irgendwann, sich nicht weiter von der Optik blenden und verwirren zu lassen und die harte Schale von den Liedern zu kratzen, dann findet man dahinter Songs, ich würde fast sagen Chansons, die, mit sanfter Stimme vorgetragen, von Liebe, Sehnsucht und dem Wunsch nach Freiheit handeln. Gerade dadurch wirkt das Konzert dann auch wie eine eher theatralische Aufführung, die bei “Uniform”, mit der Fetisch-Szene kokettiert, bei “Unsympathisch” die eingangs genannte Szene heraufbeschwört und bei “Friedliche Armee” die Schönheit der Natur preist.
Dabei springt der Funken tatsächlich aufs Münchner Publikum über, welches vorbildlich applaudiert und natürlich nach einer Zugabe verlangt. Da lässt sich Jadu natürlich nicht zweimal fragen und kommt mit der Hauptprovokation des aktuellen Albums noch einmal aus dem Schützengraben, um uns mit “Sirenen und Wagner” die Geschichte der letzten Nacht von Hitler und seiner Geliebten Eva Braun näherzubringen, was Jadu mit einer fast verboten wirkenden Grazie und Zärtlichkeit verpackt, während sie sich auf der Bühne Bier und Korn hingibt und dabei Seiten aus Hitlers “Mein Kampf” herausreißt. Was für eine aufwühlende, verstörende und verwirrende Szenerie...
Und an dieser Stelle ruft Jadu den Zapfenstreich aus und lässt uns alleine mit der “Nachricht vom Feind”. Vielleicht verkündet diese, dass wir einfach mal über den Tellerrand unserer Vorurteile hinausschauen sollten. Wie auch immer, das Konzert war ein tolles, atmosphärisches, dramatisches Erlebnis, dessen Reiz in dem Spiel mit den Widersprüchen und der verstörenden Kombination von Texten, visuellen Elementen und der dazu überraschend gefühlvollen Musik liegt. Jadu polarisiert, die Inszenierungen und Provokationen werden nicht jedem gefallen. Viele werden Jadu schon alleine aufgrund der überdeutlichen Frakturschrift und den omnipräsenten Kriegsmetaphern bewusst meiden. Vielleicht haben wir hier heute aber auch den Beginn einer spannenden Karriere verfolgen dürfen. Denn in welche Richtung sich Jadu mit einem zweiten oder dritten Album weiterbewegen wird, kann nach dieser Vorstellung sicher niemand voraussagen. Wir dürfen wohl aber davon ausgehen, dass sie uns wieder irgendwie überraschen wird.