Einmal aufladen, bitte: wir stöpseln uns ein mit AC/DC
/Power Up! Unter dieser Flagge fahren Angus und seine Freunde nochmal um die Welt. Und nachdem die Oberstromer auch bei uns halt machen, wandern wir natürlich schon wieder in Richtung Ladestation unter dem geschwungenes Zeltdach. Den Weg kennen wir ja mittlerweile. Und fragen uns: träumen australische Musiker von elektrischen Schafen?
Mein Bub, du bist jetzt 42 Jahr alt und Elektroingenieur. Und selbst dann kommt unverhofft dann eben doch oft. Nachdem das unbestechliche Rhythmus-Uhrwerk Malcolm Young 2014 verstarb und der ewig neue Sänger Brian Johnson 2016 von Gehörproblemen geplagt das Mikro an einen gewissen Axl Rose übergeben musste (der seine Sache gar nicht mal so schlecht machte), schienen die Aussichten auf eine weitere Gastspielreise der wohl ikonischsten Hardrocker der Weltgeschichte mehr als trübe. Man hatte sich fast schon damit abgefunden, dass Schuljunge Angus die Büchertasche an den Nagel hängen würde, als 2020, mitten in finsteren Pandemie-Lockdown-Zeiten, das Studioalbum „Power Up“ ein mehr als dankbar aufgenommenes Lebenszeichen funkte. Wie aus dem Nichts erschienen AC/DC dann auf dem Billing des kuriosen Mega-Festivals Power Trip und enterten tatsächlich die Bühne, wobei die Mannschaftsleistung danach durchaus kontrovers bewertet wurde. Aber egal, die Frage stellte sich dennoch – war das nun ein singulärer Event, oder sammelte man sich etwa für weitere Taten?
Das klärte dann zumindest für Deutschland der Münchner Oberbürgermeister Reiter mehr oder weniger unabsichtlich, als der 2023 auf einer Stadtratssitzung zum Fan-Fest im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft feststellte: im Olympiastadion könne dieser Event ja wohl nicht stattfinden, das wäre ja schon belegt. Mit AC/DC. Dieser Ausplauderer verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und irgendwann kam dann die Gewissheit: ja, die australischen Helden kommen nach der letzten Stippvisite, die immerhin schon 9 Jahre zurückliegt (2015 besuchte man uns auf der „Rock or Bust“-Tour) in der Tat nochmal auf große Gastspielreise und beehren die Münchner Landeshauptstadt gleich doppelt, einmal am Sonntag und dann nochmal am folgenden Mittwoch (weshalb sich am zweiten Tag dann eben ein rothaariger Jammersänger nebst deutschem Schildkappenträger auf die Theresienwiese verziehen mussten).
Die Spannung (fast letzter Strom-Gag, versprochen) stieg damit stetig, man verfolgte die anderen Ansetzungen emsig: die Setlist kündete von einer wahren Sternstunde, Vorfreude angesagt. Die wurde dann bestenfalls von den meteorologischen Ausblicken getrübt: unangenehm war es angesagt für den Sonntag, schwere Gewitter und Regenfälle, puh – aber schlimmer als bei Metallica konnte es ja wohl kaum werden (und wurde es auch nicht). Ich bin sogar so leichtsinnig, einige Minuten nach Einlass erst vor Ort zu sein, man traut sich so etwas ja fast nicht zu sagen. Die Schlangen an den Andenkenständen sind nahezu ebenso stattlich wie die preisliche Gestaltung: 50 EUR für ein Leibchen, das ist durchaus ambitioniert. Die Menge greift unverdrossen zu, ebenso bei den spaßigen leuchtenden Teufelshörnchen, die ja mehr oder weniger obligatorisch sind. Da gehen wir doch lieber gleich mal in Richtung Einlass, problemlos durchmarschiert, Security entspannt und freundlich, so lobt man sich das. Direkt vorne an der ersten Absperrung ist noch ordentlich Platz, als ich dann rechts am Rand erspähe, dass man auch hier wieder ein weiteres Areal mit Bändchen-Prinzip eingerichtet hat: wer kommt, steht drin und findet sich damit dann direkt hinter den mit leichtem Aufpreis erhältlichen Golden Circle Plätzen. Das nehmen wir doch gerne und studieren schon mal die Bühne: ein Laufsteg hinaus ins Publikum, eine kleine Plattform vorne, und zwei schmucke Showtreppen hinterm Schlagzeug. Dann sind wir mal gespannt.
Bevor es losgeht, fegt allerdings erst einmal ein ordentlicher Regenguss über uns hinweg – offenbar nur, damit schon mal die Richtung angezeigt wird. Somit entfällt das sonst so gut passende Kreuzworträtsel, das lege ich dann daheim wieder völlig durchweicht zum Trocknen. Pünktlich zum Auftakt um 19 Uhr zeigt sich das Münchner Firmament ohnehin wieder einsichtig: als die Vorband die Bühne entert, können wir die Kapuzen wieder vom Haupthaar ziehen und aufmerksam verfolgen, was uns die Pretty Reckless heute kredenzen. Ganz schön leichtsinnig scheint das Motto, zu dem die Zeremonienmeisterin beweist, dass sie die deutlich bessere der beiden Taylors ist – mit massiver Bühnenpräsenz, ordentlichem Schuhwerk und vor allem bemerkenswertem Stimmumfang nehmen wir Frau Momsen doch deutlich lieber als Frau Swift. Auf der noch weitgehend schmucklosen Bühne legen sich die Herren und die Dame ordentlich ins Zeug, man liefert den erdigen Rock der Kombo mit Schmackes ab – Nummern wie „You Make Me Wanna Die“ oder auch „Going to Hell“ knallen ordentlich, während Frau Momsen immer wieder mit wohl durchaus in Kauf genommenen Garderobenproblemen in Form eines rutschenden schwarzen Fummels kämpft. „Hebt die Hände in die Luft!“, animiert sie die Menge mit passablem Deutsch – somit eine mehr als achtbare Leistung, die allerdings dem Schicksal eines Openers bei AC/DC nicht zu entrinnen vermag: das frisch geduschte Auditorium nimmt die Sache gewogen, aber nicht enthusiastisch zur Kenntnis. Nach immerhin 60 Minuten ist Schicht im sprichwörtlichen Schacht, wir danken Frau Momsen und wünschen weiter gutes Gelingen.
Nach einem kurzen, emsigen Treiben, das vor allem das Schlagwerk freilegt, erwachen um 20:30 die Videoleinwände, die vorher stoisch das „PWRUP TOUR“-Logo zeigten, zum Leben und zeigen ein lustiges Filmchen, in dem ein Musclecar (mit Handschaltung!) über die Autobahn rast, vorbei an diversen „Munich“-Wegweisern brettert und so den Weg direkt ins Stadion findet. Im Film zumindest. In der Realität sind AC/DC auf einmal da und legen mit „If You Want Blood“ gleich mal zünftig los. Aus der fast-Golden Circle-Distanz sind die Protagonisten ordentlich zu erspähen, die ohnehin auf den Leinwänden in Überlebensgröße durchs Stadion flimmern. Der neue Sänger Brian agiert wie gewohnt mit Kappe und schwarzem Shirt, wie er auch schon auf seinem Einstand „Back in Black“ 1980 zu sehen war. Die ergänzende Truppe um Young-Neffen Stevie, der seit 2014 an der Rhythmus-Gitarre an Bord ist, und die beiden Neuzugänge Matt Laug (Schlagzeug) und Chris Chaney (Bass, auch schon in Diensten von Jane’s Addiction) reproduziert den originalen AC-Soundteppich durchaus kompetent – und anstelle uns zu fragen, ob das ohne Malcolm, Phil Rudd und Cliff Williams (der schon nach der Rock or Bust-Tour seinen live-Rücktritt erklärte, nur noch bei den Studioaufnahmen zu Power Up dabei war und für das Wüstenfestival eine Ausnahme machte) nun wirklich noch als AC/DC gelten darf, konstatieren wir lieber, dass der weltbeste ewige Schuljunge Angus (den unausrottbaren Tippfehler lassen wir mal so stehen, Kenner wissen er heißt Agnus, damit soll der Sache ein Ende sein hier) mit Umhängetasche, Mützchen und stylischem blauen Samtanzug mit obligatorischer kurzer Hose unverändert quirlig, entenlaufend und spielfreudig daherspringt – eben wie gewohnt, als ob Chuck Berry in die Steckdose gegriffen hätte. Deutlich vitaler als auf manchem Filmchen in den sozialen Medien, hat der gute Mann die Meute umgehend fest im Griff. Der Sound knallt und ist so tight, wie man es bei einem Open Air eben hinbekommt, die Stimmung ist sofort oben – auch wenn es fast schon standesgemäß wieder anfängt zu regnen. Publikumsinteraktion war noch nie die Sache von Herrn Johnson, was er auch heute wieder eindrucksvoll unter Beweis stellt: zu einer Sause ganz im Münchner Stil lädt er uns ein, das ist so ziemlich das höchste der Gefühle in Sachen Plauderei, dann geht es schon weiter mit einem mächtigen „Back in Black“, zu dem die Videoleinwände neben und hinter der Bühne das Geschehen passend in schwarz/weiß tauchen. Mit „Demon Fire“ folgt dann eine erste Nummer neueren Datums, bei der man notieren darf, dass man diese Stücke ziemlich auf den Stimmumfang des Mikroschwingers zugeschnitten hat – der allerdings wirft sich massiv in die Bresche, rollt mit den Augen, wedelt mit den Armen und lässt durch schieren Einsatz über das eine oder andere leichte Holpern hinwegsehen. Anders als noch bei Metallica vor zwei Wochen, wo der Blitz wortwörtlich einschlug, muss man bei „Thunderstruck“ dann ohne Naturkulisse auskommen, was nicht weiter tragisch ist – auch wenn diese Nummer irgendwie ein wenig zerfließt, passt die Video-Untermalung mit einem blitzelnden Angus bestens. „Have A Drink On Me“ läuft bestens rein, bevor sich dann die Glocke senkt – offenbar hält heute ausnahmsweise das Seil (zur Auflösung – früher verbreiteten wir im Vorfeld bei dem Umstehenden gerne das Gerücht, das Seil sei vorher mal gerissen, weshalb der Song ausfällt, auf was einige immer wieder reinfielen), und „Hells Bells“ kann standesgemäß über die Bühne gehen – entfaltet aber nicht den Druck und die volle Gewalt. An dieser Stelle kommt der gute Brian dann bisweilen an seine Grenzen, aber das soll die geschlossene Leistung in keiner Weise schmälern. Das relativ neue „Shot In The Dark“ und „Stiff Upper Lip“ (mit digitalem Plattencover auf den Leinwänden) krachen dann wieder gewaltig, vor allem bei letzterem zeigt man sich vollumfänglich gut aufgelegt. Nachdem Angus die Krawatte schon als Gitarrenplektrum genutzt hat, fliegt bei „Shoot to Thrill“ das Jackett weg, Brian hat sich einige Zeilen kurzerhand umarrangiert, so passt das doch. Per Entengang watschelt Angus immer wieder auf die vorgelagerte Plattform, dräut ins Publikum und parliert quasi wortlos, aber äußert eloquent mit uns.
So richtig zünftig wird’s dann beim alten Schlachtross „Sin City“, dessen langsame, eher lasziv gemurmelte Passagen („ladders and snakes“…) Brian sichtlich auskostet. Der „Rock’n’Roll Train“ (der erste AC-Song, den ich erstaunt im Mainstream-Radio vernahm) rollt fulminant vorbei, aber so richtig steil gehen wir beim Doppelpack „Dirty Deeds“ und „High Voltage“: hier passt alles, die Stimmung glüht, das sind echte Sternstunden des hiesigen Stromversorgungsunternehmens – alles richtig gemacht, wir waren dabei. Wunderbar! Angus feuert die Menge weiter an, man ist vollständig enthusiasmiert. „Riff Raff“ galoppiert bewährt mit Hoppelriff, und beim ersten Song, den er jemals mit seiner neuen Kombo einspielte – „You Shook Me All Night Long“ – gibt Brian nochmal alles, was eben noch da ist. Schön! Dann kommt die Nummer, die für diese Herren das ist, was „The Number of the Beast“ für Iron Maiden: live immer nicht sonderlich gut gebracht, gehört aber halt dazu. Angus setzt Teufelshörnchen auf, die Schlachtenbummler sind hingerissen, und Brian kämpft ein wenig mit der Technik. Das lassen wir so stehen und feiern danach lieber die Rosie (nicht die mit dem Telefon, hier ist die andere gemeint, auch wenn wir in München sind), die uns runderneuert im digitalen Zeitalter entgegentritt – anstelle der lieb gewonnenen Aufblas-Figur setzt sich die „Whole Lotta Rosie“ auf den Leinwänden animiert mindestes ebenso eindrucksvoll in Szene und kommt auch akustisch, ähem, prall rüber. „Let There Be Rock“, die Schöpfungsgeschichte, die uns informiert „the white man had the schmaltz, the black man had the blues”, eskaliert schließlich komplett zur Angus-Show: auf epische 20 Minuten ausgerollt, flirrt im Herzteil dieser Hochgeschwindigkeits-Nummer das zentrale Solo in massive Höhen, der Cheffe entert wieder die Plattform, die sich plötzlich als Hebebühne herausstellt und den kleinen Meister ordentlich emporwuchtet, bis dann ein massiver Konfettiregen auf ihn und uns niedergeht (auf den Leinwänden macht man unschwer aus, dass die umhergeschossenen „AC/DC“-Zettel klitschnass an ihm kleben bleiben, lustig). Das Hemd ist längt nicht mehr zugeknöpft, Angus klettert sogar die Showtreppe hoch und gibt nochmal Gas, bis die Kombo dann wieder einsetzt und die Sache fulminant zu Ende führt. Puh, was ein Ausritt! Wir sind komplett beeindruckt, das kann und darf eben nur dieser Herr. Nach minimaler Pause – immerhin liefert der Regen optisch hübsche Fontänen im Scheinwerferlichte - geht es weiter mit dem uralten Gassenhauer „TNT“, bis dann das obligatorische „For Those About To Rock“ mit sechs Kanonen auf der Bühne und ebenso vielen auf den Beleuchtungstürmen, die Sause beschließt. Wie fasst man das zusammen? Spieldauer: gut jenseits der 2 Stunden-Marke. Setlist: traumhaft („It’s a long way to the top” gabs ja bei Metallica, und auf „The Jack“ warten wir halt weiter). Spaß in den Backen: massiv. Leistung: energetisch. Bleibt nur die bange Frage: müssen wir jetzt wieder 9 Jahre warten? Und in welcher Formation kommen sie dann? Wenn überhaupt? Man darf gespannt sein, ob der im Jahre 2033 amtierende Münchner Bürgermeister wieder Licht ins Dunkel bringen wird.