Bruce und die Bongos: wir gehen ins Kino mit Mr. Dickinson und dem Alraunen-Projekt

The Mandrake Project! Unter diesem vielsagenden Titel legte der umtriebige Sänger der besten Metal-Band der Welt sein neues Solo-Werk vor. Und weil der Tour-Tross seines Arbeitgebers offenbar noch Lücken lässt, schaut Bruce Dickinson auch gleich mal wieder auf einen Besuch bei uns vorbei. Da sagen wir doch: Akrobat schön – rein in die Manege!

Irgendwann mitten im Set hält er kurz inne, der Mann mit der Strickmütze, und wundert sich: „When we played in Berlin, England was playing. Today, we play, and England is playing. Who booked this bloody tour? Must have been a German!” Dieses Hadern mit den Terminkonflikten ist natürlich nicht ernst gemeint, „I’m all about the love“, schiebt er gleich hinterher, und das ist programmatisch für diesen Abend: Bruce Dickinson zeigt sich agil, mit Freude an der Sache, sympathisch, immer mit Spaß in den Backen und vor allem sprühend vor Ideen. Nicht zuletzt auf den Leinwänden. Aber eins nach dem anderen.

Nach glückhafter Parkierung direkt vor dem großen Rund postieren wir uns rechtzeitig zum Einlass am Circus Krone, der während der Wanderzeit seiner eigentlichen Bewohner in den Sommermonaten ja immer wieder mal für Events die Pforten öffnet, wobei Konzerte der eher rockigen Art doch eher Mangelware sind (legendär ist und bleibt der AC/DC-Auftritt von 2001 – glücklich schätze sich der, der damals dabei sein konnte). Wir backen ein wenig in der doch eher heißen Vorabendsonne, bevor wir wie die Stars in die sprichwörtliche Manege gelassen werden, wo es nicht maßgeblich kühler als draußen weht. Egal, first to the barrier gelingt hier ein wenig einfacher als bei Maiden oder gar den Riesenansetzungen, die wir im Olympia-Stadion kürzlich absolviert haben. Auch mal ganz angenehm.

Um Punkt 8 klingelt es hörbar hinter der Bühne, die Opener Dominum entern die Bühne und ziehen nach einem “Let’s do the time warp again”-Intro gekonnt-wirkungsvoll ihre Grusel-Show ab. Die gesamte Instrumentalfraktion steckt in Zombie-Gummi-Masken (bestimmt hübsch warm da drin), während Shouter Felix Heldt (rührig auch als Songwriter und Produzent von Feuerschwanz und Visions of Atlantis) in seiner Bühnenpersona Dr. Dead mit Gehrock und -stock den astreinen Gothic Horror Meister gibt. Unter dem lauschigen Motto „We All Taste The Same“ feuern die Vier scharfkantigen, durchaus melodischen Power Metal aus der Hüfte, der inszeniert wird wie ein ordentlicher Horrorstreifen. Stücke wie das eben zitierte Motto oder „Patient Zero“ zünden ordentlich, aber vor allem ein krachiges „Rock you like a Hurricane“-Cover bringt Bewegung in die Meute. Anheizen solle man die Schlachtenbummler, so Meister Heldt, als ob der Zirkus nicht schon heiß genug sei – die Aufgabe erfüllen sie mit Bravour und empfehlen sich nach gut 30 Minuten.

Nach einer weiteren halben Stunde klingelt man wieder, alsbald ertönt vom Band das Intro zur SF-Serie „The Invaders“ aus den späten 60ern, die hierzulande als „Invasion von der Wega“ über die Mattscheiben flimmerte – dann geht die wilde Fahrt los mit einem krachigen „Accident of Birth“, dem Titeltrack des Solo-Albums von 1997, das ja seinerzeit die zwei Jahre einläutete, in denen der gute Bruce die deutlich besseren Maiden-Scheiben als das Original lieferte und damit mehr als deutliche Signale ans Mutterschiff sandte, bevor dann 1999 der Wiedereinstieg perfekt und die Welt wieder in Ordnung war. Ein kurzer Blick zeigt, dass er alte Weggefährte und Mega-Songschreiber Roy Z, der auch beim aktuellen Werk Bruces rechte Hand war, livehaftig leider nicht an Bord ist – schade, immerhin holte dieser Herr den guten Bruce seinerzeit von seinen durchaus wirren „Skunkworks“-Experimenten wieder zurück auf den Pfad der metallischen Tugend, was dann 1998 mit „Chemical Wedding“ (wie schon der Vorgänger auch mit einem gewissen Adrian Smith an der Sportguitarre) in der absoluten Meisterleistung des Duos kulminierte. Nun denn, er wird sich schon mit kompetenten Mitstreitern umgeben, die Augen sind ohnehin erst einmal auf den Derwisch gerichtet, der da jetzt mit „Mandrake Project“-Merchandise in Form von Mütze und Backpatch auf der Kutte hereinspringt. „Welcome home – it’s been too long, we’ve missed you“, besser passend könnte der Refrain des Openers nicht sein: zu lange ist es her, dass wir Bruce Bruce im eher familiären Rahmen bestaunen konnten. Und das tun wir mit Begeisterung – er dräut, lacht, hüpft, macht einen spaßigen Ausdruckstanz und singt ganz nebenbei ganz formidabel. So muss das!

Atemlos geht’s weiter, die große Leinwand flimmert auf und lässt ein UFO ganz im Stile von 50er-SF-Großtaten über die Wüste schweben – wir biegen mit „Abduction“ auf die Alien-Spur ab, die er bei seiner Großtat „Tyranny of Souls“ behandelte (und deshalb wohl auch das Intro entsprechend gewählt war). Ein gewichtiges Live-Pfund war das nun folgende „Laughing In The Hiding Bush“ ja immer und knallt auch heute ordentlich, auch wenn man auf Konserve bisweilen etwas Mühe mit dem Track hat. Zeit uns kurz umzuschauen: das Zirkusrund, gut geheizt durch die den ganzen Tag schon lachende Sonne, wirkt stets ehrwürdig und vor allem sehr unmittelbar – so richtig weit weg ist man da auf keinem der Plätze, quasi das Gegenteil der Arena-Ansetzungen im Stadion, was die 3000 Angereisten heute sichtlich genießen. Nun erklärt uns Bruce, was nun komme sei nicht das Ende der Welt, sondern vielleicht eher der Beginn einer neuen: „Afterglow of Ragnarok“ läuft trotz der sperrigen Elemente gut rein und wird als erster Beitrag der aktuellen Scheibe ordentlich gefeiert. Die Gitarrenfraktion, bestehend aus dem alten Schweden Philip Naslund und dem Eidgenossen Chris Declercq, vertritt Roy „Z“ Ramirez dabei mehr als würdig, mit Zylinder und langem Rock passt Tragekeyboardschwinger Mistheria kongenial ins Zirkuszelt, Schlagwerker Dave Moreno legt einen ordentlichen Teppich – und die Tieftönerin Tanya O’Callaghan macht mit Rastas und ordentlichem Schuhwerk schon rein optisch einen schlanken Fuß und bedient ihr Sportgerät zudem noch mehr als kompetent.

Hinter diesem Wanderzirkus flimmert auf der Leinwand eine apokalyptische Szenerie vorüber, die fast ein wenig an die Untermalung von Maidens „Hell On Earth“ erinnert – aber Bruces Hauptarbeitgeber ist heute Abend ganz weit weg, jedem im Publikum dürfte klar sein, dass es ausschließlich Material von den Solopfaden zu bestaunen gibt. Nach „Starchildren“ – erstmals auf dieser Gastspielreise im Programm, so informiert der Zeremonienmeister – schließt sich die erst große Sternstunde an: „this is sung in football stadiums, this is the second national anthem“, so kündigt er die gemächliche Weise an, mit der eine ganz eigene Interpretation von William Blakes Gedicht „And did those feet in ancient times“ liefert, ursprünglich ein Intro zu dessen Versepos „Milton“, landauf landab aus den Stadien und den Last Night of the Proms-Konzerten in der Fassung von Hubert Parry als „Jerusalem“ bekannt, das man in England’s green and pleasant land errichten wolle (und das die hübsche Zeile “bring me my chariot of fire” enthält…). Leidenschaftlich vorgetragen, inhaltlich ambitioniert, und optisch untermalt mit „Der Alte der Tage“, einem Gemälde des Romantikers der ersten Phase, der seine Werke ja gerne selbst illustrierte und die inhaltliche Basis für das gesamte „Chemical Wedding“-Album lieferte, avanciert die Nummer zum Highlight. Für Konnosöre und Spezialisten, keine Frage, aber der gute Bruce denkt sich eben immer was bei dem, was er tut. Und weil wir gerade bei William Blake sind, schickt uns der Meister gleich noch den Titeltrack „Chemical Wedding“ hinterher, zu dessen Klängen ich seinerzeit noch im Hesseland so manche Stunde vor dem PC verbrachte und Bruce im damaligen Wohnzimmer, der Batschkapp, auch livehaftig bestaunen konnte. Weshalb ich den mystischen Text immer noch draufhabe.

Jetzt lenkt Bruce die Aufmerksamkeit wieder in Richtung aktuelle Scheibe, zu dem es standesgemäß auch eine Graphic Novel gibt: „The Mandrake Project! What is it? Is it a bird? A plane? Is it a comic book? And who is Dr Lucifer?” Die Fragen bleiben offen (wir ergänzen gerne, dass Mandrake zu Deutsch die Alraune, ein sagenumwobendes Kraut ist, oft zugegen in Kino und Musik), aber mit den “Resurrection Men” („let’s do a little necromancy – whatever that may be“) und „Rain On The Graves” (mit entsprechendem Video auf den Leinwänden) kommt das frische Werk bestens zur Geltung.

Nun setzt Herr Moreno zu einer kleinen Soloeinlage an, die sich dann im Verlaufe zum einzig komplett unnötigen Aspekt des Abends ausweitet: Bruce springt an ein Bongo-Set, und gemeinsam ergeht man sich dann gefühlte Ewigkeiten in einem sinnlos-psychedelischen Genudel, das in den weitgehend nervtötenden Klängen eines Theremins endet, einem kuriosen Gerät, das nach Bruces Fuchteleien gesteuert wirre Töne von sich gibt. Einzig spannender Lichtblick sind hier die Videoleinwände, auf denen Szenen aus diversen Stummfilmen ablaufen, die mit passend gemachten Titeln („Oh my God! It’s a theremin!“) aufgepeppt sind. Das lassen wir mal so stehen und freuen uns dann um so mehr über ein elegisches „The Alchemist“, das in einer stimmungsvollen „Chemical Wedding“-Reprise endet, und frönen schließlich einem schmackigen „Road To Hell“, bei dem der Kino-Ausflug fröhlich weitergeht – Szenen aus „Nosferatu“ (Max Schreck macht Bekanntschaft mit dem Sonnenlicht), Murnaus „Faust“  (hält als noch alter Gelehrter Vortrag) und „L’Inferno“ von 1911 untermalen die finstere Mär durchaus passend. Wenn man‘s einsortieren kann, umso mehr.

Aus is, aber natürlich nur kurz – und dass nur echte Kenner anwesend sind, wird deutlich, als die Zugabenrufe in ein launiges „Ole ole – Bruhseee, Bruhseee!“ münden, wie wir das schon auf der Live-Scheibe „Scream for me Brazil“ amüsiert zur Kenntnis nahmen. Punkt für die Meute hier und heute! Natürlich kommt er nochmal herausgesprungen und referiert, das nun folgende Lied habe für sehr viele eine besondere Bedeutung, für ihn auch – „but I do not know what it means!“ So kann dann jeder das bombastische „Tears of the Dragon“ so deuten, wie es denn genehm ist – in jedem Falle schraubt sich der Heldentenor unbestechlich empor. Wir sind zutiefst beeindruckt – auch davon, dass der Meister das nun folgende und abschließende „The Tower“ auf Deutsch anzählt und dann mehr als furios inszeniert. Er nutzt nochmals die ganze überschaubare Bühne, rennt ganz nach links und rechts und winkt den Schlachtenbummlern auf den Rängen zu – aus. Viel zu kurz, bitte von vorne nochmal! Auf der Leinwand steht ein vielsagendes „The End“, Bruce ruft in Bezug auf die kuschlige Atmosphäre augenzwinkernd zu „Next time this will be bigger! Bring your friends!“ – wir werden das beherzigen, wandern hinaus und konstatieren, dass es die Air Raid Siren drauf hat. Immer noch. Unentwegt. Scream for me, Zirkus!