Ein Rundflug des nächtens: wir schweben empor mit dem Night Flight Orchestra

19.12.2017
Backstage München

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Ein luftiges Vergnügen der besonderen Art kündigt sich an, wenn Björn Strid mit seiner Zweit-Formation erstmals auf Deutschland-Tournee kommt. Immerhin fabriziert der Soilwork-Fronter mit seiner Nachtflug-Kombo einen Sound, der wohlig an die besten Zeiten des klassischen Hard Rock und AOR erinnert. Wir bitten die Gurte anzulegen – wir heben ab!

Durchaus guten Zuspruch kann man heute verbuchen im Backstage: die Show wurde kurzerhand vom kuschligen Club in die doch etwas geräumigere Halle verlegt. Auf einen Support Act verzichtet man, und so können wir direkt den Bühnenaufbau der auf dem Zettel draußen als „Night Flight Orchester“ angekündigten Attraktion betrachten: ein mit einer Leuchtschlange behangenes Schlagzeug, eine Orgel-Landschaft – und eine Eule (nach einem kleinen Moment kapiere ich die Analogie, die fliegt ja auch bei Nacht).  Das Publikum ist nicht gerade leicht zu definieren: die typische Metal-Gemeinde ist das nicht gerade, eher gesetztere Herrschaften, gerne auch mit Daunenjacke, bevölkern die Halle.

Soll uns recht sein, wir platzieren uns problemlos in Reihe eins, als um 20:20 das Licht ausgeht und zu einem kurzen Intro nicht nur die Herren Musikanten, sondern auch zwei fesche Sängerinnen auf die Bühne marschieren. Zu „Midnight Flyer“ fahren wir über die Rollbahn und heben in wunderbare Soundsphären ab: Björn gibt mit Jackett und Barrett nicht nur optisch einen Verweis auf die ganz frühen 80er, auch klangtechnisch bewegen wir uns hier im Survivor-Fahrwasser. Gitarrero und Soilwork-Kollege David Andersson trägt ebenfalls neckisch kariertes Jackett und zaubert einen wundervoll erdigen Sound ins Rund, während die beiden Chanteusen – adrett gekleidet in Retro-Stewardessen (sorry das sagt man nicht mehr, es heißt Flugbegleiterinnen)-Kostümchen – nach jedem Song freundlich synchron winken. „California Morning“ läuft ebenso gut rein, bevor dann bei „Stiletto“ leichte Keyboard-Unterstützung von Richard Larsson, dem offiziellen Jon Lord-Imitator mit Hut, herüberweht. Herr Strid setzt seine Sonnenbrille zwar über die gesamte Strecke nicht ab, plaudert nun aber freundlich darüber, dass dies die erste European Tour seines Outfits sei. Drei Alben hat man mittlerweile im Handgepäck, wovon die ersten beiden noch etwas unter dem Radar geblieben seien, aber demnächst auf Vinyl wieder veröffentlicht werden. Zu dem durchaus bekannten „Domino“ vom aktuellen Album „Amber Galactic“ erklingen im Anschluss reinrassige 80er-Keyboard-Sounds, bevor dann der „Transatlantic Blues“ langsam, getragen und atmosphärisch daherkommt und mit einer maximal massiven Solo-Einlage von Herrn Andersson aufwartet.  

Sebastian Forslund macht uns derweil am Alleinunterhalter-Geschirr mit Bongos, Triangeln und anderem Gewerke das musikalische Multitalent, greift bisweilen in die Saiten und macht auch sonst einen schlanken Fuß. Vehement wie stets zu Werke geht der langmähnige Sharlee D'Angelo, hauptamtlich in Diensten beim melodischen Grundkommando von Arch Enemy. Der „Montreal Midnight Supply“ versprüht dann 70er Vibes und swingt in der Schnittmenge von Deep Purple und Jimi Hendrix, während wir die Krokolederschuhe des Herrn Strid erstaunt notieren, die aus der gleichen Dekade entsprungen scheinen. Die Hammond-Orgel wummert wie zu besten „Live In The Heart Of The City“-Zeiten, lange bevor Mr Coverdale zum Vortänzer in den Arenen und auf MTV wurde, bis dann „Something Mysterious“ wieder klar in die Survivor-Kerbe schlägt – die sehr melodische, hervorragende Nummer hätte sich auf dem Soundtrack von Rocky IV genauso gut gemacht wie das „Burning Heart“. Weiter geht’s im Programm mit dem eher schnellen „Sail On“, worauf uns Herr Strid zur bunten Mischung beglückwünscht: „I see some dancing! It’s beautiful to see some dancing, some Behemoth shirts…dancing is always nice!” Nun, dass Tanzen essentiell ist, das wusste ja auch schon der Starlord aus den Guardians of the Galaxy, hier und heute kündigt uns Meister Strid eine langsamere Nummer an – “but it’s gonna be exciting!“ Recht hat er, zum zauberhaft-epischen „Heather Reports“ legen dann die beiden Stewardessen die Joppe ab, öffnen ihr Haar, ziehen die Schuhe aus und räkeln sich pittoresk.

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Die ausladende Nummer selbst punktet mit allen Tugenden einer 70er-Platte: langsamer Aufbau, Steigerung, Tempowechsel und musikalisches grande furioso in der Mitte. Wir beobachten einstweilen, dass sich ein durchgängiges Motiv findet: auf dem Drums ist ein stilisiertes NF AIR-Logo aufgebracht, dass auch Herrn Strids Kappe, die Uniformen der Stewardessen und sogar das Flugkapitän-Hemd des Soundmixers ziert. Damit geht die Maschine nun in den Sinkflug, aber nach kurzer Pause hauen sie noch „Living For The Nighttime“ heraus, das wie das folgende „Josephine“ wieder tief in den frühen 80ern verwurzelt ist. Gitarrist Andersson klatscht die ersten Reihen ab, Björn bedankt sich ehrlich bei den angereisten Zuhörern, kündigt in Bälde Album Nr. 4 an und verabschiedet sich mit einer Nummer vom ersten Output „Internal Affairs“: „West Ruth Ave“ schließt den Reigen an wunderbaren Melodien, der heute zu bestaunen war. Ein wundervoller Ausflug in den nächtlichen Himmel, den wir gerne jederzeit wiederholen – und jetzt legen wir erst mal eine Journey-Platte auf. Platte, wohlgemerkt.