Greatest Hitz: wir schwitzen mit Saxon in der Kleiderkammer

06.12.2016
Backstage München
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Am Ende kippt er sich dann gleich zwei Wasserflaschen über den Kopf. Das ist auch schon egal, denn unser Lieblings-Conferencier Peter Byford (besser bekannt als Biff, nebenbei Erfinder des Badreinigers) ist ohnehin vollständig durchnässt. Das liegt zum einen an den tropischen Temperaturen im vollgepackten Backstage Werk, aber auch am Hit-Feuerwerk, das das alte Schlachtross Saxon wieder einmal in gewohnter Präzision abgefeuert hat. Und auch wenn man das schon häufiger gesehen hat, wussten wir das natürlich vorher – und so hieß es: jetzt wieder einsteigen, jetzt wieder mit dabei sein!

Zumal man wirklich illustren Support mitgebracht hatte: im Tross reiste nämlich der eine Teil der rechtmäßigen Motörhead-Erben mit. Während Drummer Mikkey Dee ja mittlerweile dauerhaft bei den Scorpions (echt!) angeheuert hat, pflegt Herr Kilmisters ehemaliger Saitenbieger Phil Campbell (die Suppenwitze habe ich gleich am Abend in den sozialen Medien alle schon gemacht, das lassen wir hier) das Vermächtnis des Ex-Chefs rührig.

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Dabei rückt er jeweils mit seiner Familie, zumindest den angeblich illegitimen Teilen davon, an: als Phil Campbell and the Bastard Sons kredenzt er uns auch heute abend einen Rundumschlag aus der reichen Historie sowie einige Nummern neueren Datums. Das alles erleben wir allerdings nur um Haaresbreite, denn auch Kühles Zeug ist vor der eigenen Verwirrung nicht vollständig gefeit - aber das bewährte Team vom Backstage sorgt dafür, dass wir trotz versemmelter Einlass-Erlaubnis doch noch samt Fotograf-Apparat den Raum betreten dürfen. Danke dafür nochmal! Herr Campbell selbst steht beim Opener „Big Mouth“ derweil äußerst entspannt da, mit lustiger Straßenmusiker-Mütze und Turbonegro-Kutte, und feuert seine Riffs in die jetzt schon durchaus stattliche Menge. Vor einem doch etwas ruppigen Backdrop mit zwei Stinkefingern legen sich seine Söhne (Gitarrist Todd, Schlagzeuger Dane und Bassist Tyla Campbell) gemeinsam mit Shouter Neil Starr gehörig ins Zeug, und nach ein paar eigenen Tracks der selbstbetitelten EP (u.a. „Spiders“, „Best Shot“) tauchen wir dann ein in die wohlige Welt der von uns gegangenen Größen: „who wants to hear a Motörhead-Song?“, lautet die doch eher rhetorische Frage, die mit „Born To Raise Hell“ ohne Federlesens bedient wird. „Das ist ja wie Radio-Hören!“, stellt Rundfunk-Intendant Sebbes entzückt fest – stimmt, das läuft hervorragend rein, wie auch das Black Sabbath-Cover „Sweet Leaf“, bevor es dann mit „Ace Of Spades“ den Lemmy-Klassiker schlechthin setzt.

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Nach „Eat The Rich“ buddeln sie dann sogar die ältere Historie der Ikone aus: „Silver Machine“ zaubert den ausladend-psychedelischen Flair von Hawkwind, bei denen Lemmy ja vor seiner eigenen Kombo den Tieftöner zupfte. „All these songs are for absent friends“, sinniert Herr Campbell dann, bevor es mit „Killed By Death“ in die letzten Runden geht. Ein mehr als ordentlicher Auftritt, der die Fahne Lemmys absolut rechtmäßig hochhält und die unzerstörbaren Riffs kongenial präsentiert. Fein!

Nachdem die Celsius-Grade in der Halle stetig steigen, schauen wir uns nun kurz um und stellen fest: der Laden ist proppenvoll. Angesichts der Tatsache, dass Biff und seine Kumpane zu den wenigen Bands zählen, denen man ohne ausgeklügelte Taktik im Grunde gar nicht entrinnen kann – sie spielen auf gefühlt jedem Festival und sind garantiert gerade irgendwo auf Gastspielreise –, mag das vielleicht ein wenig überraschen. Aber es hat sich wohl sattsam herumgesprochen, dass Saxon live eben einfach eine Bank sind, mit schier unerschöpflichem Klassiker-Fundus, bei dem eigentlich immer nur die Frage ist, welche Kostbarkeiten denn heute aus dem Hut gezaubert werden.

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Los geht’s aber erst einmal mit „Battering Ram“, dem Titeltrack des aktuellen Albums – ordentlicher up tempo-Metal der klassischen Schule, sagen wir da gleich. Aber schon Lied Nummero zwei versetzt mich dann zurück in mein Kinderzimmer: dort drehte sich nämlich nicht lange nach dem Hörspiel vom Mäuse-Sheriff alsbald die Strong Arm Of The Law-Scheibe auf dem Märchenplattenspieler, und der Opener „Heavy Metal Thunder“ klingt heute irgendwie kraftvoller als damals aus dem kleinen Mono-Lautsprecher, der im Klapp-Deckel integriert war. Die Kombo zeigt sich wie immer bestens aufgelegt, Paul „The Mighty“ Quinn im Piraten-Kopftuch sowie Lesebrille (ja, es geht halt nicht mehr anders) und Kumpan Doug Scarratt zaubern die Riffs präzise und mächtig, Jungspund Tim „Nibbs“ Carter übernimmt die Rolle des Springteufels, und hinter seiner mächtigen Schießbude sorgt Nigel Glockler für ordentlichen Wumms. Zeremonienmeister Biff trägt – natürlich – wieder seinen etatmäßigen Gehrock zur Schau, der irgendwie deutlich weniger spannt als das früher bisweilen der Fall war. Den Brauch, dass man auf die Bühne geworfene Kutten zuerst inspiziert und dann überstreift, pflegt er auch heute wieder – was im Verlauf des Abends noch zum running gag werden soll. Nach und nach müssen nämliche alle Mitstreiter (außer dem zu sehr eingebauten Herrn Glockler) die eine oder andere Jacke überziehen, die der gute Biff nach Augenmaß zuweist.

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Beschwingt geht es weiter mit dem Groove-Monster „Solid Ball Of Rock“, zu dem dann die Kleiderfrage dann spätestens gelöst ist. Wir erkämpfen uns im Gewühle einstweilen einen ordentlichen Platz, während Biff ausführt, das folgende Stück habe man lange nicht mehr im Programm gehabt, führe es aber auf dieser Tour mit: „Stand Up And Be Counted“ ist in der Tat ein lange nicht gehörtes Juwel, das ins Tanzbein fährt – vor allem einem Schlachtenbummler ganz vorne, der unablässig den Haarrotor kreisen lässt was das Zeug hält (seine Maiden-Kutte behält er aber für sich). Neueres Material wie etwa „The Devil’s Footprint“ (des Teufels Schuhsohle - kühler Titel!) und auch das atmosphärische „Queen Of Hearts“ wissen durchaus zu gefallen – „vielleicht muss ich mir die Platte ja mal anhören“, sinniert Komplettist Sebbes noch, aber so richtig Feuer in die Hütte kommt eben bei Gassenhauern wie „Strong Arm Of The Law“, zu dem Nibbs uns fast schon den Steve Harris macht und die Menge anfeuert als gäbe es kein Morgen. Mit dem selbstironischen Wissen um den Klassikerfundus lädt uns Biff jetzt zum Wunschkonzert– „now what do you want to hear? We could play The Eagle Has Landed – or we could play Power And The Glory – or Broken Heroes. What do you want?” Nachdem mein Vorschlag, doch einfach alle drei Songs gleichzeitig zu spielen, seltsamerweise kein Gehör findet, fällt die Wahl auf Basis des unbestechlichen Byford-Applausometers auf “Power And The Glory“, das wie immer fulminant nach vorne rennt und alles umhaut. So langsam beschleicht uns in der Folge das leise Gefühl, dass der Cheffe heute ganz besonders gut gelaunt ist. Er schmeißt fröhlich die Alben durcheinander („this one’s from the fourth album. No it’s not – just ignore me, I am confused“, referiert er in feinem Englisch) und stolpert manchmal über die eigene Sprache.

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Ja, wir stellen fest: der Herr ist ein wenig berauscht, aber das macht ihn umso sympathischer und lustiger als er ohnehin schon ist. Auch der Gestenreichtum ist noch größer als sonst: üblicherweise macht er ja immer bedeutungsvolle Kreise mit den Händen, heute zeigt er uns ergänzend stets ein gewisses Abstandsmaß an - so sieht es zumindest aus. Wir nehmen es überzeugt zur Kenntnis. Als man das letzte Mal in „Muuuunchen“ war, sei das gemeinsam mit Motörhead gewesen, stellt er nun fest, und das folgende „Broken Heroes“ (wie immer wunderbar in seiner epischen Breite) geht hinan zum herabschauenden Lemmy. Technische Probleme rollt Biff in seinem wunderlichen Quasi-Deutsch locker ab („this microfone is broken! Kaputt! Gefunken!“), zu „20,000 Ft.“ (das manch einer ja als Proto-Speed-Metal sieht und wie immer als „slow song“ angekündigt wird) bangt er die schlohweiße Mähne und sieht danach aus wie die sprichwörtliche gebadete Katze. „Dallas 1 pm“ liefert ein unverwüstliches Riff-Fest, Meister Biff gluckst ins Rund: „There are a lot of people here tonight! Must be some good bands on. Maybe I’ll stay on and watch them!” und läutet dann beim Schlachtross „Wheels Of Steel“ eine unermüdliche Hüpfattacke ein. Prospekt, kann man da nur konstatieren. Nach den üblichen Mitsingspielchen in diesem Song ist dann erst einmal Schluss, und man kehrt zu „Let Me Feel Your Power“ und der nach meinem bescheidenen Dafürhalten besten Nummer „747 (Strangers In The Night)“ mit beeindruckender Lightshow nochmals wieder. Aber auch nach einer weiteren Pause lassen sie sich nochmals hervorlocken, zu Herrn Quinns bestem Riff (zumindest nach Biffs Meinung): der alte Dampflokomotivenliebhabervereinsvorsitzenden-Schlager „Princess Of The Night“ geht natürlich immer, wobei ein Nachbar ebenso begeistert wie lautstark „Princess Of The Dark“ mitsingt (es bleibt offen, wie viele Bands und Songs genau er dabei verwurstelt). Das Kleiderzuwerfen eskaliert denn auch noch vollends, als ein Angereister das Ganze nicht ganz richtig versteht und Biff staunt: „What is this? This doesn’t say Iron Maiden, or Saxon, or Motorhead - this is just a shirt!”

Zu guter Letzt dürfen wir dann nochmal in die Bütt: jetzt geht es darum, ob wir denn lieber „Crusader“ oder „Denim And Leather“ hören wollen. Das Rennen macht das Kreuzzug-Epos (wie immer in unseren Breiten mit den „warlords of Deutschland“ anstelle „England“), wobei natürlich die Headbanger-Hymne schlechthin auch ein guter Abschluss gewesen wäre. „Also, jetzt muss er aber echt mal duschen!“, rät Wellness-Guru Sebbes, und schwupps gießt sich Meister Byford das eingangs erwähnte Wasser über den Kopf. Schluss.  Auch wenn der Igel heute leider nicht gelandet ist und der Jeans-Stoff nebst Leder nicht besungen wurde - Saxon ist eben irgendwie wie eine bekannte deutsche Schokolade: quadratisch, praktisch, gut.