Gut gebrüllt, Steve: British Lion und Voodoo Six durchstreifen das Technikum

15.11.2016 Technikum München
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Also, entweder in seinem (durchaus weitläufigen) Anwesen haben sie das Wasser abgestellt, der Haussegen hängt schief, oder die Zapfanlage seines privaten Pubs (hat er!) muss repariert werden: da hat Steve Harris mit seiner beruflichen Hauptbetätigung Iron Maiden gerade erst mit dem Mammut-Tross der Book Of Souls-Tour als Passagier der Ed Force 1 einmal den Globus umrundet – und anstelle mal daheim die Hecke zu schneiden, reist er schon wieder in die Welt. Dieses Mal mit seiner Nebenkombo British Lion, die unsere Breiten ja vor einiger Zeit schon einmal beehrte. Und nachdem es ja nicht allzu viele Chancen gibt, den Chef aus nächster Nähe zu erleben, mussten wir da natürlich mit von der Partie sein.

Ort des Geschehens ist ein eigentlich artfremdes Areal: das Technikum hinter der weidliche bekannten Tonhalle ist ein Austragungsort eher neueren Datums, in dem üblicherweise Ansetzungen anderer musikalischer Couleur stattfinden. Aber heute machen wir uns durch den Regen auf den Weg über die Großbaustelle, in der der ehemalige Kunstpark Ost aka Kultfabrik langsam aber sicher beklagenswerterweise verschwindet, und bestaunen erst einmal die Leuchtreklame, die aussieht wie bei einem alten Kino oder Variété. Als auch der Name British Lion vorbeiläuft, wissen wir: hier sind wir richtig.

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So wie auch eine durchaus überschaubare Anzahl von Sympathisanten, die dem Maiden-Chef bei der Arbeit einmal genauer auf die Finger sehen wollen. Die traute Runde kommt aber zunächst in den Genuss einer durchaus umfangreichen Darbietung der Landsleute von Voodoo Six, die ja mit Iron Maiden schon öfter unterwegs waren, unter anderem auf der Maiden England-Tour 2013. Sänger Luke Purdie, komplett mit Hipster-Bart und ordentlichem Stage-Acting, schwingt sich und seine Mannen durch ein durchaus umfangreiches Programm, angefangen mit “Falling Knives“, dem Opener des nach wie vor aktuellen Albums „Songs To Invade Countries To“. Auch optisch hat sich seit dem letzten Ausritt mit Maiden kaum etwas geändert, das Backdrop durfte man schon in der Frankfurter Festhalle bestaunen, und auch die heutige Bühne bietet durchaus viel Raum für die Herrschaften – und vor allem eine ordentliche Lightshow, so dass Meisterleuchter Sebbo anstelle der üblichen Lichtlamentatio doch in der Tat konstatieren muss: „Das geht gut! Endlich mal ordentlich hell!“ „For the first time in Munchen“ sei man, stellt Luke fest – stimmt, und wir nehmen gerne zur Kenntnis, dass der Sound durchaus knallt, auch wenn der Bass ein wenig zu dominant ist (vielleicht schon im Vorgriff auf das, was kommt?). Das rhythmische, treibende, teilweise bluesige Songmaterial läuft gut rein, Gitarrero Chris Jones outet sich als echter Engländer (wer sonst trägt ein „Only Fools And Horses“-Shirt, eine Reminiszenz auf einen englischen Fernsehklassiker?), und Nummern wie „Don’t Lead Me On“ und das für mich immer noch beste Stückchen „Sink Or Swin“ funktionieren famos. „Es ist gut, ja?“ fragt Purdie – ja, es ist, denken wir da in Asterix-Manier. Schade nur, dass Voodoo Six das Ganze vor doch sehr wenigen Nasen aufführen müssen.

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Aber kaum etwas anderes ist ja zu erwarten, wenn man ohne neues Material und mit doch eher geringerem Werbeeinsatz auf Gastspielreise geht, wie der gute Steve das hier unternimmt. Wir lassen den Blick schweifen, das Publikum ist bunt gemischt, wir fühlen uns durchaus am jüngeren Ende der Skala, was durchaus etwas heißen will – neben einigen schrägen Vögeln findet sich auch ein wenig Jungvolk, und den best T-Shirt-Contest gewinnt der Kollege mit der „Mos Eisley Cantina Band“ vollkommen ohne Zweifel. Aber jetzt Augen nach vorne, ohne viel Brimborium schlendern die Herren auf die Bühne, auch der Meister selbst macht das ganz unaufgeregt, und man steigt unumwunden mit „This Is My God“ ins Set ein. Als Backdrop haben sie neben den Löwen vom Titelbild des Albums heute auch noch ein eigenes „Us Against The World“-Gemälde dabei – so kann man auch variieren, und sieht elegant aus. Steve gibt sich durchaus gut gelaunt, zupft die Songs energetisch und agiert wie gewohnt – jede Songzeile spricht er mit, teilweise ist das sogar zu hören, so nah ist man am Geschehen, die Bühnenboxen müssen teilweise als Fußauflage herhalten, und am Songende lässt er den Bass über den Köpfen kreisen – so kennen und schätzen wir ihn. Das Material seines Nebenprojekts weicht bekanntlich ganz bewusst vom Maiden-Stil ab und kredenzt eine Mischung aus klassischem britischen Hard Rock mit 70er Flair, mit dem der gute Steve ja aufwuchs, leichten AOR-Einsprengseln (die Harris selbst als „commercial, but good commercial“ bezeichnet) und oft auch akustischen Momenten.

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Seine Kollegen und auch der Meister selbst zeigen sich heute gut aufgelegt, so dass auch der nächste Song „Lost Worlds“ durchaus besser rüberkommen als bei unserem letzten Zusammentreffen. Auch optisch liefern die Herrschaften eine muntere Stilmischung: der Chef selbst agiert wie gewohnt in kurzen Hosen, mit Bass-Gurt-Polsterung, die aussieht als ob er daheim einen Kälte-Vorleger von der Türe (in englischen Haus bitter nötig!) stibitzt hat, sowie mit Shirt mit der launischen Aufschrift „Whale Oil Beef Hooked“ (wir geben gerne zu, dass wir die Auflösung erst im Nachhinein nachforschen – das Ganze hat nichts mit irgendwelchen Tierschutzaktivisten zu tun, sondern muss viel mehr laut und schnell ausgesprochen werden, dann klingt man wie ein wüst fluchender Ire und versteht den Gag). Shouter Richard Taylor agiert zunächst mit Mütze, die er dann alsbald von sich weist, und die Gitarreros wirken mit David Bowie-Shirt oder wahlweise Strickkappe und Vollbart eher einer Grunge-Formation denn einem Hardrock-Outfit entsprungen. Das tut aber der energischen, frohen Performance in keinster Weise Abbruch: gesegnet mit einem mehr als brauchbaren Sound, animiert man uns bei „Father Lucifer“ zur kollektiven Hüpfattacke, „The Burning“ läuft mit feinem Gesang gut rein, bevor wir mit „Spitfire“ einen Song zu hören bekommen, der es nicht auf das Album der Löwen geschafft hat, aber mit sehr dominantem Bass und einem Wechsel von verhaltenem Beginn und einsetzendem Stampfen dennoch ebenso gut ankommt.

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Auch das fröhliche „Wir prämieren das lustigste Schuhwerk“-Spiel machen wir wieder erfolgreich: konnte das bei Lordi noch Saitenbieger Amen mit seinen Füßlingen für sich entscheiden, macht heute David Hawkins in schmucken Taucherschlappen das Rennen. In erster Linie macht es aber natürlich Freude, dem Meister Steve ganz aus der Nähe bei seinem Maßstäbe setzenden Bass-Spiel beobachten zu können, bei dem er wie für ihn charakteristisch ohne Plektrum in die Saiten greift und den Bass als vollgültiges Melodie-Instrument einsetzt – wobei die klassischen Maiden-Hoppel-Rhythmen weniger vertreten sind und auch ruhigere Momente zum Vorschein kommen. „The Chosen Ones“ schlägt dann voll in die AOR-Kerbe, während Sänger Taylor sich wie öfter an diesem Abend die akustische Klampfe umhängt und ins instrumentelle Geschehen eingreift. „These Are The Hands“ behandelt dann nach Taylors Worten „our homeland“ England, insgesamt drehe es sich bei British Lion stets im positive Themen, auch wenn die Songtitel das nicht vermuten lassen, wie man uns jetzt mit „Bible Black“ vorführt. Bei „Last Chance“ animiert man uns zu einer Mitsingattacke, „Us Against The World“ zelebriert dann fein melodisch den kollektiven Widerstand, und Steve trinkt immer mal wieder gerne aus einem Strohhalm – dann muss er schon den Bass nicht loslassen. Jetzt informiert uns Taylor, dass wir mal ordentlich Lärm machen sollen: man nimmt nämlich jede Show dieser Tour für ein Live-Album auf. Das nennen wir mal effiziente Materialverwertung: Studioalbum, zwei Tourneen und dann noch live – „die nutzen Ihre Songs echt voll!“, stellt Synergie-Experte Sebbo treffend fest. „A World Without Heaven“ liefert dann einen coolen Rocker, und das ausladende, sicherlich beste Lion-Stückchen „Judas“ setzt den Schlusspunkt unter das reguläre Set.

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Dankenswerter will Fussballfan Steve offenbar wenigstens noch die Zusammenfassung der heutigen Begegnungen in Match of the Day sehen: denn man verzichtet kurzerhand auf die obligatorische Pause, sondern feuert gleich das UFO-Cover „Let It Roll“ hinterher, das nochmal klar zeigt, woher der gute Steve seine ersten musikalischen Inspirationen zog, die er in seinem Nebenprojekt auch selbst umsetzen will. Mit der Journey-Verneigung „Eyes Of The Young“ ist dann endgültig Schicht im Schacht – man verbeugt sich höflich, aber die Hoffnungen einiger Versprengter, die Devotionalien wie Maiden-LPs (!) oder Bücher hochrecken, werden leider (wieder) nicht erfüllt: der Meister verbeugt und sich entschwindet. Wenigstens ein paar kleine Andenken werden unters Volk geworfen, dann ziehen wir von dannen und stellen fest: sehr unterhaltsam, mehr als brauchbar – aber warum er partout nicht daheim sein will, das bleibt uns nach wie vor verschlossen.

 

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