Wolfsnächte - Powerwolf live mit Orden Ogan und Civil War im Backstage
/24.10.2015, Backstage, München
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Gleich mehrere, doch eigentlich unerschütterliche Grundtatsachen des Lebens werden an diesem Abend hinterfragt.
- Das Phänomen Powerwolf ist nicht mehr zu steigern: Falsch.
- Vorgruppen sind vollkommen unsinnig: natürlich richtig, aber heute gilt ja gut eh, sicherlich, und andere Formulierungen die man bemühen kann wenn man nicht zugeben will dass man ausnahmsweise einmal nicht Recht hat.
- Vor 8 muss man eh nicht da sein: Aber hallo!!
Denn an diesem lauschigen Samstag versammeln sich im Backstage schon zu früher Stunde (offizieller Anfang ist 18.30!) derartig viele Schlachtenbummler, dass man nur noch verwundert dreinschaut. Füllt sich das weite (naja, geräumige sagen wir mal) Rund doch üblicherweise erst gemächlich, gelten auf der Wolfsnächte-Tour 2015 wohl andere Maßstäbe. Schon die erste Gabe des Dreigestirns, das uns heute erfreuen soll, kann beim Startschuss gegen 19 Uhr auf eine proppenvolle Halle blicken, was die Herren von Civil War auch sichtlich genießen. Die Kombo um Restbestände von Sabaton und Astral Doors springt in historischen Armee-Fräcken auf die Bühne und feuert mit dem feinen „USS Monitor“ gleich ein ordentliches Pfund ab, und das Erstaunen aller Mitstreiter (wir sind zu viert angereist) wächst, als die Meute beim ersten Song der Vorgruppe schon aus dem Häuschen ist. Wo hat man denn denn sowas gesehen? Nichts von wegen warm up, hier geht es gleich massiv zur Sache, Sänger Nils Patrik Johansson brilliert in seiner Rolle als einzig legitimer Dio-Nachfolger – dass er aus einer Thermosflasche Tee zu sich nimmt, spricht ja nur dafür, dass er sein Organ pfleglich behandelt. Die Instrumentalfraktion steht wie eine eins, Petrus Granar und Rikard Sundén an den Saiteninstrumenten beherrschen ihr Handwerk so formidabel, dass es uns erst nach einiger Zeit auffällt, dass das gar kein Tieftöner am Start ist. Nach dem weniger spannenden „Braveheart“ gibt es mit dem Titeltrack das aktuellen Albums Gods And Generals, dem schwer groovenden „Bay Of Pigs“ und dem abschließenden „I Will Rule The Universe“ (wer will das nicht?) weitere feine Beispiele des schwedischen Power Metal, der live bestens reinläuft. Die Menge goutiert das ausnahmslos, bis ganz nach hinten wird gejubelt und gewunken. Sehr schön!
Auch bei den nächsten Gesellen ändert sich das in keinster Weise: die vier Herren von Orden Ogan, die wir ja schon Anfang des Jahres als Support von Hammerfall erleben durften, reichen ihren PowerFolk-Metal mit sympathischem Selbstbewusstsein und Ironie dar. Die Mischung aus frühen Blind Guardian und Running Wild liefert genau das richtige für die irgendwie noch weiter anwachsende Menge - in ihren selbst gebastelten Mad Max-Kostümen sehen sie aus wie der Lumpenmann aus den Batman-Comics der 70er, aber musikalisch geht das alles in beste Ordnung: gleich mit „F.E.V.E.R.“ erwischen sie einen fliegenden Start, der im Publikum die Haarrotoren anwirft. Shouter Sebastian Levermann geht gekonnt-lässig an die Sache und animiert die Schlachtenbummler zu einem lautstarken „Fist Of Fate“-Singspielchen, das bekanntlich den Titeltrack der To The End-Scheibe ankündigt. Gut gelaunt informiert uns Herr Levermann dann, man komme ja aus dem Sauerland, „und da gibt es nichts. Wir wohnen in einem Haus, da gibt es eine Straße, sonst nichts“ – so wie man sich eben das Ende der Welt vorstellt, das im gleichnamigen Stück „At The End Of The World“ besungen wird. Wieder an die Sangeskräfte des Publikums appelliert „The Things We Believe In“, das der Fronter durch ein durchaus lautstarkes „Cold Dead And Gone“-Gesangsspiel einleitet. Dann ist auch bald Schicht im Schacht, und auch Runde 2 geht klar an das hier aufgebotene Paket.
Wer jedoch glaubte, hier ist keine Steigerung mehr drin, der sieht sich getäuscht, als nach einer kurzen Umbaupause die Hauptattraktion die Bretter entert. Dass Powerwolf live eine Macht sind, davon durften wir uns ja schon vor zwei Jahren überzeugen, aber heute fliegt hier das bayrische Nutztier noch einige Etagen höher. Vom Start weg gibt es Vollgas, als die Herrschaften mit „Blessed And Possessed“ erwartungsgemäß den Opener und Titeltrack des neuen Silberlings als Einstieg wählen. Klarer Sound, instrumentell alles bestens, und Attila Dorn bestens aufgelegt – das sind die Zutaten für eine zünftige Wolfsnacht, und überall kann man einen Haken machen. Auch meine Mitstreiter geraten zunehmend in Wallung und stellen beim Blick ins tobende Rund fest: „Sag mal, haben die Leute was eingenommen?“ Vielleicht eine ordentliche Prise Schwermetall, denn überall wird geheadbangt, Fäuste gereckt und mitgesungen – und die eigentümliche Reihe von asiatischen Gästen gegenüber klatscht brav ungerührt im Takt. Mit „Coleus Sanctus“ liefern sie gleich ein weiteres Highlight hinterdrein, das Herr Dorn hervorragend zum Besten gibt, bevor er uns dann in Kenntnis setzt, das hier sei die einzig echte Heavy Metal Messe, die er jetzt mit uns lesen möchte. Nun gut, da sind wir doch dabei, denn wenn das so massiv ist wie „Amen And Attack“, bei dem fast das Dach wegfliegt, dann muss man das einfach zelebrieren. „Cardinal Sin“ geht dann in Ordnung, gehört aber nicht in die erste Reihe der Wolfslieder, aber Herr Dorn führt launig durchs Programm, schaut sich den Jubel an und kommentiert: „darauf trink mer a Mass! Und das habe ich auswendig gelernt für Euch!“ Mit „Army Of The Night“ schnellt der Stimmungspegel wieder ganz nach oben, auch Herr
Schlegel springt nun immer wieder an die Front und animiert die Angereisten zur Teilhabe am Geschehen, was eigentlich gar nicht erforderlich wäre, so narrisch sind hier alle. Die Setlist ist aber auch zum, ähem, niederknien: nach einer erschreckenden Geschichte, in der ein Roadie von einer Wespe in sein besten Stück gestochen wurde und dies dann zu riesigen Dimensionen aufblühte, folgt das ihm gewidmete „Resurrection By Erection“ und macht alles platt. Mit „Armata Strigoi“, einem selbst bei ihnen vollkommen sinnlosen Schlagzeugsolo (hallo!! Das wird eh spät heute, Buntwäsche Weißwäsche ihr wisst doch!!) und dem etwas belanglosen „Dead Boys Don’t Cry“ kommen sie ein wenig von der Ideallinie ab, aber bei dem hervorragend atmosphärischen „Let There Be Night“ ist dann alles wieder wunderbar. Das anschließende Singspiel – Publikum wird geteilt, rechts, links, gähn – eskaliert dann vollkommen, weder Herr Dorn noch Herr Schlegel sind vonnöten, um einen Jubelsturm zu orchestrieren. Lustig! „Werewolves Of Armenia“ (hu! ha!) legt weiter Kohlen ins Feuer, „In The Name Of God“ läuft ebenfalls gut runter, bevor wir dann zum frenetisch abgefeierten „We Drink Your Blood“ und dem finalen „Lupus Dei“ unserem Schicksal überlassen werden, und das besteht in einem tobenden, mittlerweile komplett knödelvollen Saal. Noch einen Anlauf machen sie natürlich, es gibt noch ein explosives „Sanctified With Dynamite“, ein feurig untermaltes „Kreuzfeuer“ und ein furioses „All We Need Is Blood“ zu hören und zu sehen – und auch wenn ein Kollege feststellt, dass die Choreographie der Saitenfraktion bisweilen doch arg an unsäglich Boygroups erinnere, so bleibt unterm Strich doch ein beeindruckender Abend, der zeigt: Powerwolf sind sicherlich nicht die Könige unter den radikalen Innovatoren, aber das was sie machen, das machen sie so richtig gut – wenn die Wölfe wieder zu ihrer Nacht rufen, sind wir definitiv am Start.