Monströse Schlager: Lordi, Shiraz Lane und Silver Dust im Backstage
/26.10.2016
Backstage München
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Exakt zehn Jahre ist es her, da lehrte eine wahrhaft schauerlich anzusehende Truppe von Finnen der Schlagerwelt das Fürchten: Lordi entschieden 2006 den Grand Prix de Schangsong für sich und avancierten damit vom Geheimtipp zum Breitenphänomen. Beim Schlagerwettrennen haben die Herrschaften zwar nicht mehr teilgenommen – da sorgten später andere Gewinner für den wahren Grusel, man denke nur an Frauen mit Bart - , aber ein Stelldichein der Monster verspricht immer ein effektreiches Vergnügen, weshalb wir uns gerne aufmachen, wenn der rote Sandmann ins Backstage ruft.
Dort gibt es zunächst etwas Verwirrung ob unserer Einlassberechtigung, aber ein freundlicher Kollege leistet Aufklärungsarbeit, und so müssen wir nicht das draußen auf Großleinwand laufende Pokalspiel verfolgen (hätten wir im Notfall auch gemacht), sondern betreten die Halle zu den Klängen von Silver Dust, die auf der beachtlich drapierten Bühne schon zu Werke sind. Die Schweizer um Fronter Lord Campbell kredenzen eine eigentümliche Melange aus Gothic und Stoner Rock, während Chefdesigner Sebbo feststellt, das Backdrop von Avantasia gehe wohl permanent auf Reisen, und für die Drums seien sogar seine persönlichen Initialen „SD“ zum Einsatz gekommen. Bewaffnet mit durchaus aufwändigen Leinwänden, die schaurige Filmchen einspielen, einer feschen Leuchtgitarre und vor allem dem gesamten Fundus aus Großmutters Kleidertruhe inklusive Hut und Kutschermantel feuern sich Silver Dust durchs Programm, brennen dabei ein beachtliches Feuerwerk an Hüpfeinlagen, Soli und einer Mannschafts-Perkussions-Einlage ab (in your face, Stomp!) und ziehen die Menge mit ihren Nummern wie „My Heart Is My Savior“ oder „So Let Me Know“ zunehmend auf ihre Seite. Nach 30 Minuten ist Schluss, man trifft sich später am Merchandise-Stand – alles im grünen Bereich.
In der Umbaupause lassen wir den Blick schweifen, das Publikum besteht aus ungefähr naja maximal 4 bis 500 Schlachtenbummlern (eine volle Halle ist was anderes...), die sich aus der Schnittmenge zwischen Dark Funeral (die spielen nebenan in der Halle) und einem Grand Prix Publikum zu rekrutieren scheint – aber trotzdem ist die holde Weiblichkeit in nicht geringer Zahl vertreten. Als wir uns darüber noch wundern, spazieren die nächsten Attraktionen auf die Bühne, die vielleicht auch für den Damenfaktor mit verantwortlich sind: Shiraz Lane sehen nämlich aus, als ob Glam-Größen vom Schlage Poison und Skid Row mal schnell in eine Zeitmaschine gehüpft und sich in ihren jugendlichen Inkarnationen zu uns gesellt hätten. Die Finnen geben in engsten Hosen, zerrupfen T-Shirts, jeder Menge Halskettchen und langen Mähnen den Original-LA-Sunset Strip-Look der späten 80er und weichen auch soundtechnisch kein Jota von dieser Blaupause ab. Die Plattensammlung ihrer Eltern haben die Jungs um Shouter Hannes Kett in jedem Falle intensiv studiert, ihr mehr als solider Feelgood-Sound kommt wie eine krachige Mischung aus Skid Row, Poison und den guten alten Gunners daher, was man live ja immer hören kann. In astreiner Vince Neil-Attitüde serviert Herr Kett Songs wie „Money Talks And Poor Man Walks“, die Instrumentalfraktion Miki Kalske und Jani Laine zeigt sich an den Sportgeräten versiert, und der Titeltrack des Albums „For Crying Out Loud“ zeigt dann doch einiges an musikalischer Raffinesse, die über reinen Poser-Sound hinausgeht. Reife Leistung, die wir gerne goutieren, die Damenwelt ist ebenso entzückt, und die Kollegen von der Weinstraße verzichten sogar auf das mittlerweile ja obligatorische Jetzt jubelt mal die ganze Menge-Selfie, das für die sozialen Netzwerke herhalten muss. Sind halt noch jung.
Jetzt enthüllt man denn aber doch langsam aber sicher den Bühnenaufbau der Hauptdarsteller, was Chefdekorateur Sebbo mit „die haben aber viel Pappe aufgestellt!“ bedenkt. In der Tat, irgendwie wirkt die Szenerie mit unheilsdräuenden Requisiten wie herabhängenden Bäumen und Gittern, als ob Ed Wood gleich die Fortsetzung zu „Plan 9 From Outer Space“ drehen wollte – aber genau diese wohligen Zitate aus B-Movies machen ja den Lordi-Spaß aus, der dann mit einem kompletten „God Of Thunder“ aus der Kiss-Konserve seinen Anfang nimmt. Dann springt ein lustiges Wesen in Gummianzug daher, das uns informiert, bei den Masters Of The Universe wäre es doch durchaus lustiger der Beast-Man zu sein und den He-Man zu ärgern – und wir steigen ein in die Geisterbahn, die mit „Let’s Go Slaughter He-Man“ vom aktuellen Langeisen „Monstereophonic“ erwartungsgemäß ihren Auftakt nimmt. Die Besetzung ist dabei über die Jahre durchaus stabil geblieben: an der Gitarre macht uns Jussi Sydänmaa unter dem Decknamen Amen wie gehabt die wandelnde Mumie im Stile eines gewissen Imhotep, und den Bass zupft nach wie vor das Urviech Samer „Ox“ el Nahhal, komplett mit Fellstiefeln bis unter die Ohren. Der Zeremonienmeister selbst stapft auch alsbald hervor: Mr. Lordi himself, im Einwohnermeldeamt im heimischen Rovaniemi in Finnland besser bekannt als Tomi Putaansuu, stakst, dräut und röhrt wie eh und je. War der Sound bei den beiden Anheizern noch durchaus verbesserungswürdig, geht das jetzt schon eher in die richtige Richtung, wobei immer noch einiges in der dröhnenden Lautstärke, die dann doch etwas überdimensioniert wirkt, untergeht.
Das Kabinett des Professor Lordi geht einstweilen mit „Babez For Breakfast“ in die nächste Runde, das ist schmissig, sorgt für Laune und funktioniert in der typischen Machart (eingängiges Riff, ordentlicher Refrain) live famos. War der Meister in vorigen Ansetzungen öfters etwas wortkarg, entpuppt er sich heute als gut aufgelegter Conferencier: klar sei es Mittwoch, aber das sei kein Problem – er hat bei unseren Chefs und Lehrern angerufen und uns allen frei gegeben. Sagt er zumindest. Das ist natürlich zuvorkommend, deshalb freuen wir uns umso mehr, dass mit „Hellbender Turbulence“ ein Stückchen vom Erstling „Get Heavy“ zu Ehren kommt – das hat man 13 Jahre nicht dargeboten, weshalb sich der Chef gleich prophylaktisch entschuldigt: „we will try our best not to suck.“ Ist aber gar nicht nötig, denn die Nummer läuft trefflich rein und unterstreicht, dass die früheren Ausritte inklusive der Grand Prix-Sause doch mehr zündende Ideen und schmissige Stücke im Gepäck hatten als neuere Einspielungen. Darüber – und auch über die Tatsache, dass Mr Lordi mehr begnadeter Entertainer als filigraner Vokalist ist – rettet man sich à la großem Vorbild Kiss allerdings mit spaßigen Show-Einlagen, bei der die immer gleiche Dame (wir nehmen an eine Tourmanagerin) in unterschiedlichen Rollen herhalten muss – als Krankenschwester, die von Ox zerfetzt wird, als Forscherin, die den Sarkophag von Amen öffnet, und als Patientin auf einem OP-Tisch, die Herr Lordi selbst doch etwas ruppig behandelt.
Das hat irgendwie etwas von Alice Cooper, als dann auch noch ein launiger Skelett-Tanz aufgeführt wird, der auch stop motion-Trickguru Ray Harryhausen gefallen hätte, und so bringen wir auch schwächere Darbietungen wie „Bite It Like A Bulldog“ mit Anstand hinter uns. Auch songtechnisch auf der Höhe ist man dann wieder bei der finsteren Ballade „Icon Of Dominance“, die man auskunftsgemäß auch ewig nicht im Programm hatte und als „Bacon Of Dominance“ verballhornt wird. Er ist heute ja ein rechter Scherzkeks! Komplett im Wolfskostüm, das wir livehaftig schon 2006 bewundern konnten, feuert er uns jetzt die Hymne „Bringing Back The Balls To Rock“ unters Volk, bevor wir dann mit der aktuellen Single „Hug You Hardcore“ (angekündigt mit „if we offer you a hug, you should better answer no thank you“) unsere liebe Mühe haben. Vielleicht verstehen wir die Attraktion dieses Halbton-Riffs einfach nicht – „dafür sind wir zu alt!“, stellt Biologe Sebbes fest, als die Menge (vielleicht auch begeistert vom zugehörigen BDSM-Video) zu diesem Song komplett steilgeht. Das notieren wir dann eben, wir sind ja basisdemokratisch. Jetzt kommt mit einer Kombination aus „It Snows In Hell“ und „Children Of The Night“ quasi ein Balladenblock an den Start, der die Qualität auch für die beiden älteren Herren wieder hochreißt – wobei das Grönemeyer-Winkespiel doch bitte wirklich nicht sein muss. Das neue „Down With The Devil“ geht durchaus kraftvoll in Ordnung, kann aber natürlich nicht an die abscheuliche Mützengestalt heranreichen, die als „Blood Red Sandman“ jetzt über uns herfällt. Klar einer ihrer besten Songs, und vom Meister in rot getränkter Szenerie mit Sack und Konfetti bestens inszeniert.
Nachdem wir überdies festgestellt haben, dass Amen definitiv das beste Schuhwerk trägt – und zwar orthopädisch wertvolle Füßlinge! -, prügeln sie uns dann endgültig das Siegerlied der Schlagerwelt um die Ohren: „Hard Rock Halleluja“ funktioniert immer noch wunderbar als Gassenhauer, wonach Herr Lordi treffend feststellt: „Now we have that one out of our system!“ Dass seine etatmäßige Frage „do you want some more?“ mit begeisterten „Oana geht no nai!“-Chören beantwortet wird, verwirrt ihn sichtlich: „I have no clue what you are singing, but it seems you want more!”, was wir dann in Form des doch eher unhöflichen “Sincerely With Love” erhalten. Dann aber geht’s mit „Devil Is A Loser“ nochmal massiv zur Sache, komplett mit ihrem fettesten Donner-Riff, bevor erst mal Ende im Friedhofs-Gelände ist. Flugs kommen sie allerdings nochmals wieder und lassen „Who’s Your Daddy“ auf uns los, während der Chef uns mit einer Trockeneisnebel-Kanone beschießt. Das geht immer, vor allem, wenn das zünftige „Would You Love A Monsterman“ einen traditionellen, krachigen Schlusspunkt setzt. Unterm Strich halten wir daher gerne fest: eine runde Show-Leistung, die genug klassisches Material an Bord hatte, um die teilweise zu konstatierenden Schwächen auszugleichen – auch da eifert er also seinen großen Vorbildern Kiss in jeder Hinsicht nach. So, und jetzt gehen wir nach Hause, packen unsere He-Man-Figuren aus und schauen dabei wieder einmal zu, wie Boris Karloff uns den originalen Imhotep macht.
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